Digitale Bildung – Neuer Rahmen erfordert neues Denken

d64_krommer_02Am Dienstag, den 04.10.2016 fand im Grünhof die dritte D64-Veranstaltung aus der Reihe Lernen in einer digitalisierten Welt statt, die man über einen Periscope-Livestream verfolgen konnte und die ich hier bei YouTube hochgeladen habe. Dieses Mal war Axel Krommer mit einem besonderen Format zu Gast. Die ältere Generation erinnerte es ein wenig an Der große Preis und die jüngere an Jeopardy. Eine Wand mit unterschiedlichen Begriffen zum Themenfeld Digitale Bildung war Ausgangs- und Endpunkt einer Diskussion der Gäste und des Referenten. Dabei konnte immer wieder ein neuer Begriff ausgewählt werden, der nicht zwingend verriet, was dahintersteckte. So waren sowohl Spannung als auch Vielfalt an Themen gewährleistet. Ein Konzept, das man zur Nachahmung nur empfehlen kann.
Einiges kannte ich bereits, weil ich Axels Arbeit aufmerksam auf Twitter folge:

  • Dass interaktive Whiteboards nicht selten angeschafft werden, um fotografier- und belegbare, neue Technik für die Pressearbeit zu erhalten (die natürlich auch sinnvoll eingesetzt werden kann).
  • Dass BYOD die „frontale, alleinige Macht des Präsentierens“ in der Lernumgebung komplett verändert und auf alle dezentral verteilt.
  • Dass der Stellenwert der Kontrolle, symptomatisch für den Geist des deutschen Schulsystems, an den dafür gekaufte Produkten ablesbar ist. (Siehe Handy-Garage Collecta oder den Mobil-Sichtschutz Clausura.)
  • Dass es keinen Gegensatz zwischen echter und virtueller Welt gibt, sondern dass alle Erfahrungen, Blicke in diese darstellen.
  • Dass die Skepsis gegenüber „neuen Medien“ alt und austauschbar ist.

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  • Dass #DigitaleBildung nicht durch das reine Digitalisieren des alten Materials und der bisherigen Methoden realisiert wird. (Siehe das Beispiel Skinners Teaching Machines und Learning Apps.)
  • Dass das FlippedClassroom-Modell auch kontrovers diskutiert und nicht nur gefeiert werden sollte.

Manche Impulse waren aber auch mir neu und beschäftigen mich bis heute:

  • Dass digitale Technik unsichtbar sein bzw. werden muss, wenn #DigitaleBildung gelingen soll. So wie Strom. Man denkt nicht darüber nach, dass man Strom braucht. Man hat ihn einfach.
  • Drop the shields! Dass es Mut, Kraft, Zeit und Geduld kostet, um das zu Beginn entstehende Chaos, wenn man das Web und die Technik in Schulen lässt, mit all seinen Herausforderungen anzugehen. Der Umgang muss gelernt werden.
  • Welche bedeutende Rolle die sprachlichen Komponente spielt. Wenn wir immer nur auf Smartphones starren lesen bzw. hören, hinterlässt das Spuren. Niemand scheint übrigens diesbezüglich auf Bücher zu starren. Axel fragte auch in die Runde, ob sich immer noch so viele Schulen offen für Smartphone-Verbote bekennen würden, wenn man Smartphone durch Lisas Rosas Wortschöpfung Kulturzugangsgerät ersetzen würde.

Mein persönlicher Höhepunkt des Abends war der Vergleich der Medien innerhalb der Gutenberg- und der Turing-Galaxis und die Befürchtung, dass den unsichtbaren Rahmen von Lernen, Lehren und Lehrpläne immer noch (oft auch unbewusst) der Buchdruck bildet; wenn wir z.B. aus unseren alten Arbeitsblättern lediglich PDFs erstellen oder für digitale Tafeln bzw. Projektionsflächen die bisherigen Unterrichtsentwürfe beibehalten. Eine Herausforderung für Lehrende lautet somit das Sichtbarmachen des Gutenberg-Rahmens und die kritische Selbstreflexion der eigenen Arbeit.

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Die Turing-Galaxis schafft einen neuen Rahmen und stellt das bisherige System auf den Kopf. Die zweite Herausforderung besteht also darin, Konzepte für das neue Womit, Wie und Wohin beim Lehren und Lernen zu entwickeln. Einige Lehrende haben sich schon auf den Weg gemacht. Lisa Rosas ausführlicherer Beitrag bietet für die zukünftige Debatte eine gute Basis und bildet auch direkt die Überleitung zur nächsten D64 in Freiburg im Frühjahr 2017, wenn ich sie als Referentin der D64-Veranstaltungsreihe Lernen in einer digitalisierten Welt begrüßen darf.

Axel hat freundlicherweise hier einen Teil seiner Slides, die in Freiburg diskutiert wurden, zur Verfügung gestellt. An dieser Stelle noch einmal ein offizielles Dankeschön dafür und auch die vielen Anregungen bei der Veranstaltung.

9 Comments

  1. Du verzeihst mir sicher meine Skepsis; ich misstraue Rufen nach neuem Denken. Und mindestens diesen Gedanken halte ich für grundfalsch: „Dass digitale Technik unsichtbar sein bzw. werden muss, wenn #DigitaleBildung gelingen soll. So wie Strom. Man denkt nicht darüber nach, dass man Strom braucht. Man hat ihn einfach.“

    So denken Leute, die gerne Medienkunde in der Schule hätten statt Informatik. Wenn digitale Technik unsichtbar (transparent, im technischen Sinn von „verborgen, nicht zu erkennen“) ist, ist man ihr ausgeliefert und kann sie nicht mal hinterfragen, weil man gar nicht an sie denkt. Die Parallele zum Strom ist geradezu gruselig treffend – du erinnerst dich sicher an die Witzeleien aus den 1980er Jahren: „Atomkraft nein danke, mein Strom kommt aus der Steckdose.“ Wenn man an Atomkraftausstieg, erneuerbare Energien, fossile Brennstoffe, Energiesparen denkt, darf das eben gerade nicht die Haltung sein, die man sich wünscht.

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    1. Ich verzeihe dir nicht, ich bedanke mich für dein (meiner Meinung nach starkes) Argument. Eine ähnlicher Einwand kam an dem Abend aus dem Publikum. Kann man der „Mystifizierung“ aber nur durch optisch sichtbare Technik entgegenwirken? Wenn Informatik ein ausgewogener Bestandteil meines Unterrichts wäre, könnte ich doch darauf verzichten, oder? Ist das nicht wieder ein entweder-oder-Argument an einer Stelle, die auch ein Und im Angebot hat? (Keine rhetorische Fragen. Würde mich über eine Antwort freuen.)

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  2. @HerrRau: Vielleicht gibt es in der Informatik einen Diskurs (den ich nicht kenne), der Deine Position bzw. Reaktion plausibel machen könnte. Mir ist z.B. völlig unklar, warum die Unsichtbarkeitsthese implizieren sollte, dass sich jemand Medienkunde STATT Informatik wünscht. Mir ist auch völlig unklar, warum aus der Unsichtbarkeit der Medien folgen soll, dass man nicht mehr kritisch über sie nachdenken kann. Natürlich geht das.

    Dass Medien unsichtbar sein sollten, bedeutet doch nur, dass sie nicht durch technische Probleme (OHP geht nicht) oder durch ihre schiere physische Präsenz (PC-Raum, in dem man Schüler hinter Bildschirmen nicht mehr sieht) ausgerechnet dann ins Blickfeld geraten, wenn sie nicht Gegenstand des Lernens sind.

    Kritische Medienreflexion ist damit kompatibel. Zumindest in meiner Disziplin. Wie das in der Informatik aussieht, vermag ich nicht zu beurteilen.

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  3. >Ist das nicht wieder ein entweder-oder-Argument an einer Stelle, die auch ein Und im Angebot hat?
    „Und“ ist immer schön. Aber machen wir uns nichts vor, die Ressourcen sind begrenzt. Es gibt nur drei Bundesländer, die zumindest mindestens ein Jahr Pflichtfach Informatik haben. (BW zähle ich erst mit, wenn ich’s sehe.)

    >Wenn Informatik ein ausgewogener Bestandteil meines Unterrichts wäre, könnte ich doch darauf verzichten, oder?
    Meinst du mit „darauf“ „optisch sichtbare Technik“? Dann ja, sicher. Ich weiß aber noch nicht recht, wie das geschehen könnte.

    >Mir ist z.B. völlig unklar, warum die Unsichtbarkeitsthese implizieren sollte, dass sich jemand Medienkunde STATT Informatik wünscht
    Ist dir unklar, warum das so ist, oder sagst du, dass das nicht so ist? Wer sich beides wünscht, großzügiger mit Ressourcen um, als es die Bundesländer wohl tun werden.

    >Mir ist auch völlig unklar, warum aus der Unsichtbarkeit der Medien folgen soll, dass man nicht mehr kritisch über sie nachdenken kann. Natürlich geht das.
    „Gehen“ tut immer alles. Aber wird es passieren? Sehr viel weniger wahrscheinlich. Je einfacher Computer zu bedienen sind (Smartphones), desto weniger wird über sie nachgedacht. Frag doch mal, wieviel Computer die Leute zu Hause haben – die meisten sind ja unsichtbar, so dass kaum einer an Kühlschrank, Fernseher, Herd, Uhr denkt.

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    1. Zu Klärung: Ich glaube, dass beides (Medienbildung und Informatik) angestrebt werden muss, weil ich es für notwendig halte. Ist ambitioniert, ich weiß. :) Werde trotzdem (auch politisch) weiterhin daran arbeiten, das zu erreichen. (Bei deiner BaWü-Aussage zur Informatik musste ich lachweinen.) Dem „Je einfacher setzt sich durch“-Argument stimme ich zu. Nur sehe ich da eben Hoch/Schulen in der Pflicht, eine Basisbefähigung und -haltung im gesamtgesellschaftlichen Kontext zu ermöglichen und erfolgreich umzusetzen. Das muss sich eben ändern. Technik hat bisher nur den Nutzen bedient und muss/wird durch den digitalen Wandel aber sukzessiv zum (Mit)Bestimmen wechseln. Erklär mich für wahnsinnig, aber ich möchte meine Überzeugung (noch?) nicht für eine „Notlösung“ aufgeben.

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  4. @Axel: Toller Vortrag, vielen Dank für die vielen Impulse. Ich habe mir aufgrund Dejans schöner Zusammenfassung dann direkt das ganze Video angesehen. Das wird mich noch einige Zeit beschäftigen.

    Hier in NRW gab es in diesem Jahr den Antrag der Piraten an den Landtag, Informatik als Pflichtfach an allen Schulen einzuführen. Ich durfte eine Stellungnahme vor dem Ausschuss für Schule und Weiterbildung dazu abgeben.
    Meiner Ansicht nach bildet zuerst die Medienkunde die Grundlage für die Informatik und natürlich müssen wir in der Sekundarstufe nach der reinen Medienkunde zusehends Informatik vermitteln. Das schließt sich nicht aus, sondern baut aufeinander auf.
    Ich bin da auch sehr anderer Ansicht als Richard Heinen, der dafür plädiert, dass eine solche Ausbildung unserer Schülerinnen und Schüler über die Fächer erfolgen kann und wir auf ein Pflichtfach verzichten können.
    Bei a) dem Kenntnisstand meiner KollegInnen und b) der Haltung meiner KollegInnen zum Lernen mit und über digitale Medien halte ich das nicht für sinnvoll.
    Ich stimme Axel zu, dass die digitalen Hürden abgebaut werden müssen („wie Strom“), weil sonst das ständige Scheitern an Kleinigkeiten die Bereitschaft senkt. Aber wir brauchen natürlich auch nach und nach den Blick hinter die Kulissen. Und zum Glück sind wir ja auch beim Strom weiter als noch in den 80ern, da der Umgang mit fossilen Brennstoffen und regenerativen Energien sowie die politische Ebene des Themas verpflichtend in den Lehrplänen stehen.
    Kurz gesagt: Ja, wir brauchen unbedingt Medienkunde und Informatik, spiralförmig über die gesamte Schulzeit vermittelt.

    Aber nicht nur bei meinen KollegInnen staune ich teilweise über die Haltung zur digitalen Bildung, auch im Landtag war ich verblüfft. Eine Politikerin brachte als Argument tatsächlich: „Ich fahre seit 30 Jahren unfallfrei Auto und weiß auch nicht, wie ein Motor funktioniert. Wozu brauche ich also Informatik.“

    Es ist noch ein langer Weg…

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