In den letzten Jahren gab es immer wieder Versuche, neue soziale Netzwerke auf dem Markt zu etablieren. Meist waren es doch nur leicht gewandelte Kopien von bestehenden Social Media-Plattformen, die kurz in aller Munde waren, um danach wieder in der Versenkung zu verschwinden. Gestern habe ich zum ersten Mal von Clubhouse gelesen, es direkt getestet und denke, dass es ein enormes Potenzial hat, vielen im Netz ein neues Zuhause zu bieten. Die wichtigsten Fakten hat das t3n Magazin hier gut zusammengefasst. Was die App leisten kann (und wird), habe ich gestern mit über 80 Personen in einem Clubhouse-Raum diskutiert und möchte die Ideen, Perspektiven und Fragen in diesem Beitrag teilen.

(Normalerweise würde ich zu den Ideen und Anregungen die Personen nennen, von denen sie stammen. Da Referentialität (und Gemeinschaftlichkeit) ein wesentliches Merkmal der Kultur der Digitalität darstellt. Weil aber eine der Nutzungsbedingungen lautet, dass Informationen, die im Clubhouse erhalten werden, nicht ohne vorherige Genehmigung aufgeschrieben, aufgezeichnet oder anderweitig vervielfältigt und/oder weitergegeben werden dürfen, verzichte ich auf die namentliche Nennungen, beschränke mich auf allgemeine Gedanken und verweise darauf, dass der Beitrag ein Produkt der gestrigen Gruppe und Unterhaltung ist und hoffe, dass das nicht als Verstoß gegen ihre Regeln gewertet wird, was zum Ausschluss führen kann.)

Was zeichnet Clubhouse aus?

Eigentlich wollte ich gestern Abend nur kurz einen Raum öffnen, um mit zwei Freunden die Frage Was kann (und wird) Clubhaus leisten? zu diskutieren. Keine Stunde später tauschte sich aber dort ein bunter Haufen aus knapp 90 Leuten darüber aus, welche Funktionen, Wirkungen und Anwendungen jetzt schon zu beobachten sind. Netzpioniere und bekannte Größen der digitalen Szene und netzaffine Menschen aus unterschiedlichen Arbeitsfeldern trafen aufeinander, um ihre Erfahrungen und Sichtweisen zu teilen. Wie spannend und mitreißend das war, belegt der Punkt, dass ich mich um kurz nach 2 Uhr nachts noch von knapp 70 Personen verabschiedete. 

Der Moment

Dass gestern Nacht noch so viele, so lange dabeigeblieben sind, lag u.a. am besonderen Moment, der sich ergab und die Anwesenden spüren konnten. Zu einem bestimmten Zeitpunkt, fand aus verschiedenen Gründen (überschaubare Anzahl an deutschsprachigen Räumen und User:innen, Uhrzeit, Bekanntschaften usw.) eine diverse Gruppe an Menschen zueinander, die neugierig, offen und netzerprobt war, dass eine spannende und mitreißende Diskussion, wie ich sie bisher sonst nur in Präsenz erlebt habe, stattfinden konnte. Ohne Moderation! Es wurde sich gegenseitig sehr aufmerksam, empathisch zugehört (wer nicht sprach, hat sich gleich gemutet) und aufeinander eingegangen.

Was man von anderen sozialen Netzwerken kennt, die Timeline zu aktualisieren, sich die nächste Story oder nur noch ein TikTok-Video anzusehen, in der Erwartung, als nächstes etwas Neues, Wichtiges, Unterhaltsames oder Spannendes zu erfahren und das nicht verpassen zu wollen, kann bei Clubhouse durch den Moment ausgelöst werden. Der Moment, bekannte Personen zu treffen und reden zu hören, selbst gehört und wahrgenommen zu werden oder einfach eine ungeplante und besondere Gruppen-Konstellation zu erleben, die bereichernd ist. Allen im Raum war gestern klar, dass diese Truppe, in der Zusammensetzung, aber auch die entstandene Atmosphäre, sich nicht wieder rekonstruieren lassen.

Die Stimme

Twitter zeichnete die Reduktion von Texten auf anfangs 140 Zeichen aus, sprach dadurch bestimmte Menschen an und entwickelte sich zu einem speziellen Personenkreis mit einer „eigener“ Kultur. Mit Clubhouse wird erstmalig in einem sozialen Netzwerk die Stimme in den Mittelpunkt gestellt und werden Bilder, die in den letzten Jahren auf allen Social Media-Plattformen und Messenger-Diensten zunehmend in den Vordergrund gerückt sind, bis auf das Profilbild vernachlässigt. So wird eine andere Wahrnehmung der charakteristischen Eigenschaften von Personen ermöglicht. Durch den Einsatz der Stimme lassen sich Nuancen heraushören und Absichten oder Stimmungslagen (teilweise genauer) abbilden. Sie kann einen anderen, persönlicheren Zugang ermöglichen, Nähe und Vertrauen aufbauen und eine besonderes Ambiente schaffen.

Die Nähe 

Neben der persönlichen Nähe wird sicher auch ein Reiz von Clubhouse darin liegen, „Stars“ oder bekannten Personen näher zu kommen, zu wissen, dass man sich mit ihnen zur gleichen Zeit im gleichen Raum befindet. Vielleicht sogar die Gelegenheit erhält, sich am Gespräch zu beteiigen. In den nächsten Tagen und Wochen wird die Anzahl prominenter Personen enorm steigen und sich für viele sicher die eine oder andere Gelegenheit ergeben, jemanden live zu erleben. Das Setting mit den verschieden Rollen, in der man eine Bühne hat und bestimmen kann, wer mitsprechen und wer (nur) zuhören darf, wird aber sicher dieses Angebot der Nähe verankern und einen exklusiven Rahmen bestehen lassen.

Die Exklusivität 

Da einige Expert:innen aus der digitalen Szene den Weg zu Clubhouse beschritten haben und erst mal testen, was möglich ist und sich mitteilen, entstehen exklusive Angebote, die so in anderen sozialen Netzwerken oder auch in Präsenz entweder nicht zu finden sind oder viel Geld kosten würden. Die Experimentierphase, in der sich viele gerade befinden, wird sich sicher wieder legen und die Anzahl der aktuell zufälligen Angebote abnehmen. Die Exklusivität wird aber als Rahmen bleiben. (Diese aktuelle Begrenzung der Mitglieder, die durch die Hürde der Einladung durch andere oder iOS geschaffen wird, erzeugt nicht nur Exklusivität, sondern ist wahrscheinlich die wirksamste und kostenfreie Werbung, die man überhaupt erreichen kann. Was dieser Beitrag selbst auch belegt.) 

„Was im Clubhouse ge- und besprochen wird, bleibt im Clubhouse.“ So in etwa lautet eine stark vereinfachte Regel der Nutzungsbedingungen, auf die ich mich auch zu Beginn bezog. Es nicht gewünscht, dass etwas aufgezeichnet oder bestehend bleibender Content irgendwo angeheftet wird. So lebt der Austausch vom exklusiven Moment. Wobei es scheinbar Räume geben soll, in denen vorab allen kommuniziert wird, dass aufgezeichnet wird. Die Transparenz, ob und wann etwas aufgezeichnet wird, spielt aber auch für Teilnehme eine wesentliche Rolle, wenn es um Vertrauen geht und die Bereitschaft, sich zu öffnen oder die Entscheidung, welche Einblicke man anderen gewähren möchte.

Die Dynamik

Was beispielsweise bei Tweets durch einen Retweet  oder in anderen sozialen Netzwerken durch das Teilen eines Beitrags von einem Account mit großer Reichweite an Aufmerksamkeit erreicht werden kann, kann bei Clubhouse durch das Betreten von Räumen (großer Accounts) erfolgen. So können sich Räume und ihre Nutzung schlagartig in eine völlig andere Richtung entwickeln. (Ich schätze, dass hier die (Möglichkeit der) Benachrichtigungen der Followerschaft, wo sich Person x befindet und was sie gerade macht, noch stärker ausgebaut werden wird.) Dass andere Mitglieder nicht angeschrieben werden können, zwingt zu einem Gespräch in einem Raum. Bin gespannt, wie lange es braucht und ob es gelingt, dass sich viele dieser neuen Logik beugen und statt auf Messenger-Dienste auszuweichen, schnell einen privaten Raum für eine Klärung öffnen.

Welches Potenzial steckt dahinter?

Aus Fehlern lernen

Dieses Gefühl, dass gerade etwas Neues und Wertvolles entstehen könnte, führte auch zu (aus meiner Sicht) einer zentralen Frage der gestrigen Diskussion: Wie könnte man das Wissen und die Erfahrungen von anderen sozialen Netzwerken nutzen, um es dieses Mal von Anfang an richtig oder zumindest besser zu machen? Welche Erkenntnisse hier berücksichtigt werden müssen und wie diese übersetzt und angewandt werden können, scheint aus meiner Sicht eine der spannendsten Aufgaben, aber auch größten Herausforderungen der nächsten Monate zu sein. (Heute lade ich übrigens im 20 Uhr in einem Raum zu einem Austausch zu dieser Frage ein, falls ihr das gerade lest und auch bei Clubhouse seid.)

Neuer Raum für Kulturschaffende 

Eine Idee und Vorstellung, die immer wieder fiel, wie Clubhouse genutzt werden könnte, war als Live-Podcast. Das können dann gesetzte Themen und Termine sein (man kann Räume mit Titel und Beschreibung in einem Kalender ankündigen) oder spontane und offene Sessions, die ein Publikum vor Ort bestimmt und mitgestaltet. Es könnte auch gut sein, dass hier Möglichkeiten der Aufzeichnung geschaffen werden, um die Podcast-Szene zu binden und die Attraktivität von Clubhouse zu sichern. Eine Person berichtete von einer Musical-Performance, die sie bereits erleben durfte, bei der die Profilbilder die Köpfen der Figuren abbildeten und die Accounts je nach Szene ihren Part sangen. (Ein paar Blicke in die amerikanischen Räume, die es schon länger gibt, lassen erahnen, welche kreativen Nutzungsmöglichkeiten sich hier eröffnen.)

Ich erhielt gestern das Angebot, Musik abspielen zu können und habe erfahren, dass damit bei ausgewählten Accounts in der aktuellen Betaphase die Übertragung der Tonqualität verbessert wird. So können diese das dafür nutzen, um beispielsweise eigene Songs einem Publikum vorzustellen. Bin gespannt, wie und wie viele Künstler:innen diese Live-Bühne in Anspruch nehmen werden.  

Politik und Journalismus

Von der kommunalen bis zur europäischen oder sogar globalen Ebene, können Politiker:innen, Aktivist:innen, aber auch Journalist:innen mit einem Klick eine völlig neue Bühne, Aufmerksamkeit und Partizipation erzielen. Clubhouse kann wie ein interaktives Radio genutzt werden und erfordert keine Organisation von Räumen, Technik, Catering, Pressemitteilungen, Einladungen oder sonstiger Arbeit. Dass im Vergleich zu den bisherigen klassischen Formaten, wie bei Facebook-, Insta-Live und anderen Plattformen alles ohne Bildübertragung auskommt, sehr gezielt Einzelne hinzugenommen oder Gruppen gebildet werden können, erscheint sehr attraktiv.  

Gestern war ich z.B. in einem Raum mit einem der ersten deutschen Bundestagsabgeordneten bei Clubhouse (vielleicht sogar der erste). Diese Gelegenheit des direkten Gesprächs haben sich einige nicht entgehen lassen und kam sehr gut an. Mit dem Superwahljahr 2021 hat diese App in Deutschland zumindest einen sehr günstigen Zeitpunkt erwischt. Aber auch unabhängig davon bietet Clubhouse neue Formen des Bürger:innendialogs, die an vielen Stellen gefordert bzw. vermisst werden. Gerade im kommunalen Kontext, wenn Ehrenamtlichen oft Ressourcen fehlen, Menschen zu erreichen und einzubinden, könnte das sehr wertvoll sein.

Das größte Barcamp der Welt

Jede Person kann einen eigenen Raum öffnen und mit einem Thema belegen. Andere können beitreten, sich zu Wort melden, sich einbringen oder einfach wieder den Raum verlassen. Alle bestimmen jederzeit, wo sie sich mit wem und worüber unterhalten. Clubhouse ist (aktuell) ein globales und nie endendes Barcamp. Zumindest kann es das sein, wenn die Person, die einen Raum erstellt, es wie eine Barcamp-Session moderiert, alle sich gleichermaßen beteiligen lässt und die Teilgebenden diese Idee kennen und teilen. (Das hat unsere Runde letzte Nacht wahrscheinlich auch ausgezeichnet. Ich hoffe, dass möglichst viel von diesem Spirit erhalten bleibt und nicht irgendwann exklusive Räume und Podien dominieren.)

Fazit

Clubhouse bietet etwas Neues. Natürlich wurden in der Gruppe auch manche Aspekte kritisch betrachtet und bewertet. Angefangen beim Thema Umgang mit Daten bis hin zum Missbrauch von Vertrauen, wenn konkrete Informationen, die nur für einen Raum gedacht waren, nach außen (verzerrend oder falsch) kommuniziert werden. Da Dystopien sicher nicht lange auf sich warten lassen werden und ich mich in Zeiten von Covid-19 stärker bemühe, das zu teilen, das eventuell anderen helfen könnte, habe ich mich in diesem Beitrag auf die Potenziale konzentriert. Es waren aber auch einfach gefühlt zu viele und ähnliche digitalen Events und Formate in 2020, die zu einer Sättigung geführt haben. Mit Clubhouse ist die Neugier für einen digitalen Raum zurückgekehrt. Es wird wieder gemeinsam experimentiert und entdeckt. Ich habe gestern einige Menschen kennengelernt, die ich sonst nie getroffen hätte und so viele gute Gedanken mitgenommen, dass ich lange nicht einschlafen konnte. Diese Bereicherung wünsche ich allen und freue mich auf das Gespräch mit euch bei Clubhouse.

„Blocken ist Freiheit: Nervige, pöbelnde, hasserfüllte Stimmen aus der eigenen Wahrnehmung zu entfernen, gehört zu den wichtigsten Kulturtechniken in sozialen Netzwerken. Nur Ahnungslose halten Blocken für Zensur.“

Bildschirmfoto 2019-01-03 um 17.51.02Mit diesen Worten hat Sascha Lobo seinen aktuellen Kolumnenbeitrag Lob des Blockens eingeleitet, in dem er das Blocken in sozialen Netzwerken feiert, empfiehlt und sogar von einem digitalen Menschenrecht spricht. Eine Kolumne verstehe ich allgemein eher als einen Impuls, der auch gerne polarisieren darf und keinen Anspruch auf Vollständigkeit stellt. Weil ich davon ausgehe, dass dieses Verständnis nicht alle teilen, möchte ich hier meine Auffassung kurz begründen und seinen Beitrag um zwei weitere Perspektiven ergänzen.

Die Aussage, dass die Welt immer komplexer wird, ist eine Standard-Folie bei allen Vortragenden, die über die Digitale Transformation referieren. Die Einigkeit in diesem Punkt liegt u.a. daran, dass jeder die zunehmende Komplexität der Welt zumindest gefühlt bestätigen kann. Das Blocken stellt keine Ausnahme dar, unterliegt ebenfalls dieser Komplexität und kann nur im jeweiligen Kontext beurteilt werden. Zwei Betrachtungen zu Wer und Weshalb sollen das exemplarisch verdeutlichen.

Wer blockt?

Wenn Sascha Lobo über das Blocken in sozialen Netzwerken schreibt, dann als jemand, der heute über 731 000 Follower bei Twitter und über 43 000 Abonnenten bei Facebook hat (Ja, ich weiß, dass eine hohe Follower-/Abonnentenzahl nicht automatisch eine hohe Reichweite bedeutet. Das ist aber ein anderes Thema und würde hier den Rahmen sprengen.) oder jemand, der seit vielen Jahren zu den prominentesten Köpfen zählt, die beim Thema „Digitalisierung“ vor die Kamera oder auf die Bühne gebeten werden. Das heißt, dass er durch seine Bekanntheit a.) weitaus mehr Benachrichtigen erhält als Horst aus Buxtehude oder ein Lehrer wie ich und b.) für Trolle, bzw. Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen Kommunikation erschweren oder sogar zerstören (möchten), attraktiver ist. Wenn er von Schutz oder Bewahrung der konstruktiven Kommunikation spricht, ist das einen andere Hausnummer und lässt sich nicht kontextfrei auf jeden Account, bzw. jede Person 1:1 übertragen.

Weshalb wird geblockt?

Natürlich hat Sascha Lobo recht, dass Blocken keine Zensur ist und Meinungsfreiheit nicht bedeutet, jede Meinung anhören zu müssen. Was er mit dem Blocken aber u.a. erreichen möchte, beschreibt er so:

„Wenn man die Knalltüten blockt, fällt es leichter, klüger und weniger aggressiv vorgetragene Gegenmeinungen überhaupt wahrzunehmen. Vorher gehen sie oft im Getöse unter.“

In seinem Beitrag fehlt der Aspekt, dass zumindest bei Twitter die gleiche Wirkung mit dem Muten, bzw. Stummschalten erreicht werden kann. (Eigentlich ist das „gemeiner“ als Blocken, weil die stummgeschaltete Person nicht erfährt, dass sie ignoriert wird. Man nimmt so mancher Person auch die Genugtuung, geblockt worden zu sein. Von Person x geblockt zu werden wird bei Twitter nicht selten wie eine Auszeichnung gefeiert.)

Ich kommuniziere seit fünf Jahren über Twitter und genieße ebenfalls die von Sascha Lobo erwähnte Freiheit, das eigene soziale Netzwerk aufzubauen und zu verändern. Dabei habe ich jede Menge Zeit in Debatten rund um das Thema Bildung im digitalen Wandel investiert, sehr viele Lehrerinnen und Lehrer kennengelernt und leider feststellen dürfen, dass manche von ihnen das Blocken bewusst einsetzen, um einer kontroversen Diskussion bequem auszuweichen. Besonders dann, wenn es um ihre eigenen Beiträge geht, die sie gerne im Netz beherzt, aber nicht hinterfragt wissen möchten. Was unterschiedliche (aus meiner Sicht nicht positive) Auswirkungen zur Folge hat. Auch das, woran Lobo zweifelt: Im eigenen Saft zu kochen. Dass meine Berufsgruppe nicht zwingend zur kritikfähigsten zählt, hat verschiedene Gründe. Trotzdem würde ich diese Auswirkungen des konsequenten Blockens nicht allgemein für alle anderen Themen und Gruppierungen wie er ausschließen wollen. Für mich bleibt das Blocken weiterhin nur eine Möglichkeit des Schutzes vor Trollen und die Bestätigung einer gescheiterten Kommunikation. Nichts, das ich feiern würde.

Beiträge, die ich als Kolumnist für das Deutsche Schulportal verfasse, veröffentliche ich drei Wochen später auf diesem Blog, um meine Texte auf einer Website gebündelt zu haben.

Bildschirmfoto 2018-10-23 um 17.29.53Framing, der aus der Kommunikationswissenschaft stammende Begriff, ist im öffentlichen Diskurs angekommen – spätestens seit der immer stärkeren gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem weltweit zunehmenden Rechtspopulismus. Bei Framing geht es um einen durch Sprache oder Bilder geschaffenen Deutungsrahmen, in dem Informationen verarbeitet werden sollen. Da sich im digitalen Wandel die Ordnung von Gesellschaft grundlegend ändert, wird um Handlungsempfehlungen gerungen – auch im Bildungsbereich.

Der Fokus auf die Technik ist der falsche Weg

Wer von Tablet-Klassen spricht, erzeugt damit einen Deutungsrahmen. Das gedanklich gezeichnete Bild der Tablet-Klasse erzählt eine Geschichte. Natürlich sind Computer der Ursprung des digitalen Wandels und spielen als neues Leitmedium gesellschaftlich eine zentrale Rolle. Trotzdem wird mit Tablet-Klassen der Fokus auf Technik gelegt. Das freut zum einen Unternehmen, die Technik verkaufen möchten und zum anderen diejenigen, die nach Lösungen für die komplexen Herausforderungen des Kulturwandels suchen.

Das bedeutet natürlich nicht, dass die für die Schulentwicklung zuständigen Personen nur aufgrund des Deutungsrahmens Schulen mit Tablets überschütten und glauben, mit dem Kauf alle Aufgaben gelöst zu haben. Es erklärt aber zumindest, dass bundesweit auf den gut besuchten Veranstaltungen zum Thema Bildung im Zeitalter der Digitalität immer noch der Schwerpunkt bei Tablets und Apps liegt. Dabei bleiben die Analyse und Ideen für neue Lernprozesse, Lernsettings und Strukturen häufig auf der Strecke.

Wenn Framing Ängste und Ablehnung schürt

Das Gleiche gilt auch für die Personengruppe, die mit dem Einzug digitaler Technik in den Schulen den Weltuntergang herbei beschwört. Wer beispielsweise von einem digitalen Fukushima spricht, erzeugt bewusst ein Bild, das Digitales als Gefahr und Katastrophe zeichnet, Ängste schürt und eine in diesem Fall ablehnende Handlung gegenüber neuer Technik fördert. Dieser Frame setzt stark auf die dadurch aktivierten Gefühle. Das gilt vor allem für Ängste. Fakten scheinen dabei weniger wirksam zu sein.

Der kulturelle Wandel löst Grenzen auf, ändert Hierarchien und stellt die Gesellschaft vor enorme Herausforderungen. Dabei stehen die, die das bisherige System und die darin erworbenen Privilegien erhalten möchten, denen, die nachrücken und Reformen anstreben, gegenüber. Framing scheint eine beliebte und wirksame Waffe zu sein, im Kampf um die Deutungshoheit. Es lohnt sich, in diesem Zusammenhang auch einen Blick auf die Titel- und Bildwahl von Plakaten zu werfen, die Veranstaltungen bewerben.

In einer Zeit, in der mehr und vielfältiger kommuniziert wird, benötigt es eine Sensibilität für bewusst oder unbewusst erzeugte Frames. Wer vom Starren auf Handys spricht, aber Menschen nie in Bücher starren sieht, verrät und unterstützt damit eine Haltung. Dasselbe gilt auch für die Beschreibungen Daddeln oder Wischen, die sich in Bezug auf Smartphones und Tablets sprachlich etabliert haben. Sie bestärken das Bild, jegliche Nutzung mobiler Endgeräte sei banal und automatisch minderwertig.

„Framing verstehen” als Bildungsauftrag

Framing darf im Bildungskontext aber nicht auf die Frage der Technik reduziert werden. Die anfangs erwähnten rechtspopulistischen Deutungsrahmen sind ein drängendes gesamtgesellschaftliches Problem und müssen ein elementarer Bestandteil eines jeden Bildungsauftrags sein. Wenn es anscheinend Menschen auch über Framing gelingt, Bilder und Gefühle zu erzeugen, die Gewalt auf den Straßen begünstigen, muss in Bildungsinstitutionen Aufklärungsarbeit geleistet und die Demokratie geschützt werden.