Bei Tests, Klassenarbeiten oder Prüfungen wird der Zugang zu Informationen unterbunden, Hilfsmittel verboten und Zusammenarbeit als Betrug bestraft. Was im späteren Leben normal und sogar zunehmend notwendig ist, wird in Schulen verhindert. Begründet wird das meist mit Argumenten, die weder die Transformationsprozesse der letzten Jahrzehnte noch eine Kultur der Digitalität berücksichtigen. Bei genauerer Betrachtung wird zudem klar, dass Noten und die Idee der Vergleichbarkeit von Leistungen die tatsächlichen Hürden darstellen. Diese Barrieren und weshalb und wie Leistungserfassungen geändert werden müssen, möchte ich im Folgenden diskutieren.

Wenn in irgendeiner Form im Unterricht oder am Ende der Schulzeit Leistungen erfasst bzw. geprüft werden, wird oft ein Szenario konstruiert, das außerhalb der Schule nicht (mehr) existiert, aber trotzdem weiterhin als wesentliche Legitimation dafür herhalten muss. Taschenrechner sollten schon zu meiner Schulzeit so wenig wie möglich benutzt werden, weil man schließlich nicht immer einen dabei habe und deshalb alles im Kopf ausrechnen können müsse. Bei den übrigen Kompetenzen und Inhalten der anderen Fächer verhält es sich ähnlich. Es werden Tische auseinander geschoben, Trennwände mit Schultaschen errichtet, Smartphones eingesammelt und Gespräche untersagt. 

Es muss immer noch viel auswendig gelernt, ohne Hilfsmittel und allein gearbeitet werden. Weshalb? Taschenrechner, Übersetzungssoftware oder Informationen stehen mit Smartphones fast allen Schüler:innen, wie auch dem Rest der Welt, ständig zur Verfügung. Austausch und Zusammenarbeit bilden das Fundament für Lösungen in einer immer komplexeren Welt, wie aktuell bei der Pandemie. Das ist kein Plädoyer für eine Abkehr von Grundwissen und -kompetenzen – im Gegenteil. Es gilt jedoch zu prüfen, was davon noch zeitgemäß ist und wie das gelingen kann.

Den Zugang zu Informationen, Hilfsmitteln und die Möglichkeit der Zusammenarbeit zu verhindern, funktioniert am besten durch die Kontrolle in Präsenz. Als im März 2020 die Schulen aufgrund von Covid-19 geschlossen wurden, Fernunterricht stattfinden musste und irgendwann auch die Frage nach Leistungserfassungen im Raum stand, wurde deutlich, sehr Prüfungen von präsentischer Kontrolle abhängig sind. Genau hier besteht die Chance, drängende Fragen, die sich in Distanz stellten, auf die Präsenz zu übertragen.

Was wäre, wenn bei jedem Test, jeder Arbeit oder Prüfung, Bücher und das Netz genutzt werden könnten, alle Hilfsmittel erlaubt und der Austausch mit anderen gewünscht wäre? Wie müssten solche Leistungserfassungen konzipiert sein? Tatsächlich muss hier auch immer eine zweite Frage zuerst neu gedacht werden: Wofür sollen Leistungen erfasst werden? Bezieht man diese Frage auf den gesellschaftlichen Wandel und die aktuellen und zukünftigen globalen Herausforderungen, muss hier die bisherige Vergleichbarkeit der Befähigung weichen.

Kurz und grob ist damit die Befähigung gemeint, selbständig lernen und Probleme lösen zu können, indem Kompetenzen und Wissen erfasst und offene Baustellen aufgezeigt werden. Im Grunde genommen war das ohnehin schon immer der Anspruch der meisten Lehrkräfte, die unterschiedliche Formen von Rückmeldungen nach Leistungserfassungen praktizieren. Noten stehen aber in einem deutlichen Gegensatz dazu, wirken dem entgegen und verankern die Vergleichbarkeit im Bildungssystem und den Köpfen. 

Deshalb richtet sich das Interesse von Schüler:innen bei der Rückgabe von Tests in der Regel nur auf die Noten. Was und wie gelernt wurde, spielt kaum noch eine Rolle, wenn die Zahl auf dem Papier feststeht. Diesen Fokus lernen sie von Erwachsenen von Klein auf. Spätestens ab Klasse 3, wenn die weiterführenden Schulen näher rücken, wird prophezeit, dass Noten im Studium, der Berufswelt und dem Leben Türen öffnen oder verschlossen lassen. Deshalb gibt es auch Notenbüchlein und Zeugnisse, die den Kurs angeben und keine ausführliche Dokumentation und Kommunikation von Wissen und Kompetenzen.

Bisherige Leistungserfassungen sind eher Leistungsmessungen. Deshalb werden zum Zeitpunkt der Messungen z.B. keine Fragen mehr erlaubt, weil sie sonst die Ergebnisse verfälschen würden, die eine Vergleichbarkeit gewährleisten sollen. Auch das Lernen ist währenddessen nicht erlaubt, weil beispielsweise Fehler bestraft und nicht als Möglichkeit, etwas zu lernen, verstanden werden. Wären das aber nicht auch wichtige Kompetenzen, Fragen zu stellen, Fehler zu erkennen, zu korrigieren und daraus lernen zu können? Müssten faire Leistungserfassungen nicht auch die Rahmenbedingungen der Lernenden berücksichtigen, unter denen sie Wissen und Kompetenzen erworben haben und deshalb individuell unterschiedlich sein?

Deshalb orientieren sich Konzepte für zeitgemäße Leistungserfassung (wenn u.a. die Befähigung zum selbständigen Lernen erreicht werden sollte) daran, Lernprozesse sichtbar zu machen und Lernende dabei zu unterstützen, diese zu erkennen, zu verstehen, zu dokumentieren und reflektieren zu können. Natürlich kann das teilweise auch mit bisherigen Tests, Klassenarbeiten und Prüfungen gelingen. Es erfordert aber an vielen Stellen eine Entwicklung offenerer Aufgabenformate, löst sich von der Idee der Wissensvermittlung, strebt Wissenserwerb an und bindet das Netz mit seinen Möglichkeiten ein.

Was das konkret fürs jeweilige Fach übersetzt bedeutet, muss jede Lehrkraft für sich und mit dem Kollegium aushandeln. Eine These aufzustellen, sie zu be- oder widerlegen, geht in vielen Fächern. Argumente zu Fragestellungen zu sammeln, zu sortieren und zu diskutieren auch. Oder Lernprodukte aus der Projektarbeit bieten eine hervorragende Grundlage, um Kompetenzen und Wissen zu erfassen. Müsste denn nicht nach den gesellschaftlichen Erfahrungen mit Covid-19 jeder Test in jedem Fach genutzt werden, um zu zeigen, wie man geeignete Quellen (im Netz) findet, sich kritisch mit ihnen auseinandersetzt und sie kommuniziert? 

Ehrlicherweise wird aber am Ende immer die Bewertung und Benotung ein Knackpunkt darstellen. Deshalb bedeutet zeitgemäße Leistungserfassung in letzter Konsequenz die Abschaffung von Noten. Ebenfalls ehrlich wäre aber auch das Eingeständnis, dass die bisherigen Bewertungen und Benotungen immer schon weit davon entfernt waren, das zu leisten, was sie sollten. Somit wäre eine Veränderung im Bereich der Leistungserfassung eine günstige Möglichkeit, sich dem zu nähern, was Lernen an sich bedeuten und erreichen soll.