Zu Beginn der studentischen Proteste in Serbien wurde in der breiten Öffentlichkeit immer wieder diskutiert und gelobt, wie die Student*innen mithilfe von Plena zu strategisch klugen Entscheidungen kamen. Wie so ein Plenum abläuft, erklärten sie damals mithilfe von Sharepics, die ich hier ins Deutsche übersetzte. Später kam die Frage auf, wie sich Plena der zahlreichen unterschiedlichen Fakultäten miteinander absprechen und organisieren. Das wurde einige Wochen danach ebenfalls mit Sharepics erklärt, die ich zwar übersetzt, aber nie geteilt hatte. Weil nicht nur mich die Frage vermehrt beschäftigt, was man von der demokratischen Bewegung in Serbien lernen kann, möchte ich diese Dachstruktur der Belgrader Universität dem deutschsprachigen Raum nachträglich zugänglich machen.

Man sieht bei der Slide mit der grafischen Darstellung der Dachstruktur, wie jede Idee mehrere Gremien durchlaufen bzw. überstehen muss. Sie trifft auf diverse Expertisen und Perspektiven, die sie ihrerseits prüfen, diskutieren, korrigieren und ergänzen: zuerst im lokalen Plenum, danach in der Dacharbeitsgruppe, dann erneut im lokalen Plenum und abschließend beim Großen Delegiertentreffen, wo über jeden Vorschlag final abgestimmt wird. Dieser Prozess macht deutlich, dass eine wirksame und nachhaltige demokratische Praxis viel Zeit erfordert, die im Fall der Student*innen durch die Blockade der Fakultäten gewonnen wurde. Es bleibt zu hoffen, dass es ihnen gelingt, diese Strukturen und Prozesse in einem zukünftig demokratischen Serbien zu verankern. (Hier gibt es seit längerer Zeit ernsthafte Bemühungen.)

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, Demokratiebildung in der Schule anzugehen. Bestehende und gesetzlich verankerte Strukturen zu stärken ist eine wesentliche. In Baden-Württemberg gibt es hier die SMV (Schüler*innenmitverantwortung), deren rechtliche Grundlage in der Landesverfassung, im Schulgesetz, in der SMV-Verordnung und SMV-Satzung geregelt ist bzw. wird. Dieser Blogbeitrag soll allen am Schulleben Beteiligten dabei helfen, die SMV-Arbeit erfolgreich ausüben und Demokratiebildung fördern zu können. Besonders denen, die am Anfang stehen und Orientierung suchen. (Informationen, Materialien und Tipps werde hier immer wieder ergänzt und gesammelt.)

Die Gewerkschaft der 90%

Die Idee, Vorstellung der Personen von der SMV prägt ihre Rolle und Arbeit. Dabei wird in der Regel nur wiederholt, was man selbst erlebt oder schon woanders oft gesehen hat und kennt. Weshalb an vielen Schulen die SMV-Arbeit ähnelt und aus einem Nikolaus-Verkauf im Dezember, einer Rosen-Aktion im Februar, einer Party im Laufe des Jahres und dem Kuchenverkauf bei Schulveranstaltungen besteht. Dabei lohnt sich ein Blick in das Schulgesetz von Baden-Württemberg, wo unter § 62 Absatz 2 Folgendes steht:

„[…] Die Schüler haben […] die Möglichkeit, ihre Interessen zu vertreten und durch selbstgewählte oder übertragene Aufgaben eigene Verantwortung zu übernehmen.“

Wenn man die Aussagen in diesem Ausschnitt betrachtet und die Tatsache berücksichtigt, dass in den meisten Schulen bzw. Schularten Schüler*innen ca. 90% der Personen im Gebäude stellen, bietet sich ein bekanntes Bild aus der Arbeitswelt an: die SMV als Schüler*innengewerkschaft zu verstehen. Diese Vorstellung kann Schüler*innen, Lehrkräften, Schulleitungen und Eltern als Kompass dienen, bezüglich der Rolle und Arbeit der SMV und sie als Interessenvertretung begreifen, die sich ihre Aufgaben selbst stellt und um bessere (Lern-)Bedingungen für die 90% ihrer Schule bemüht. Um das zu können, muss man wissen, wie die SMV strukturiert ist und sich organisiert.


Hierfür kann diese PDF heruntergeladen werden, die den Aufbau der SMV schrittweise abbildet und erläutert. Da die Vertretungen der Schüler*innen jährlich neu gewählt werden und sich die Zusammensetzung ständig wandelt, empfiehlt es sich, dazu immer einen Info-Block zu Beginn des Schuljahres durchzuführen, um altes Wissen aufzufrischen oder Neues zu erwerben. Es bietet sich auch an, alle notwendigen und möglichen Gremien ausführlich zu besprechen, die die SMV-Arbeit umfassen, wie zum Beispiel die Schulkonferenz. Hier kann dazu das folgende Bild als PDF heruntergeladen werden:

Wahlen

Wer sich die PDF zum SMV-Aufbau ansieht, stellt fest, dass bis zur dritten Woche die Klassensprecher*innen und bis zur siebten die Schülersprecher*innen gewählt sein müssen. Vor ein paar Jahren habe ich hier einige wesentliche Gedanken und Aspekte aufgeschrieben, welche Funktion und Wirkung die Wahl der Klassensprecher*innen hat und welches Vorgehen sinnvoll sein kann. (Nicht irritieren lassen: Da ich vor längerer Zeit, nach der Übernahme von Musk, meinen Twitter-Account gelöscht habe, wird der einst eingebettete Tweet im verlinkten Blogbeitrag nicht mehr angezeigt. Das wir aus Transparenzgründen nicht korrigiert.) 

Folgende zwei (überarbeitete) Sharepics bzw. Fragen bieten vor den Wahlen eine solide Grundlage für bereichernde Diskussionen mit den Schüler*innen: 

Diese PDF bzw. Checkliste für die Durchführung einer Schülersprecher*innenwahl kann zusätzlich bei der Planung unterstützen, entlasten:

SMV mit Plan

Damit sich junge Menschen möglichst wirksam erleben, ist eine frühzeitige Planung des Schuljahres von Vorteil. Diese PDF-Vorlage und Checkliste kann dabei ein erster Schritt sein.

Es hat sich besonders bewährt, wenn sich das SMV-Team zeitnah nach der Schüler*sprecher*innenwahl für ein bis drei Tage Raum und Zeit nimmt (z.B. gemeinsam auf eine SMV-Hütte fährt), um herauszufinden, welche Probleme es wie lösen, Ideen umsetzen oder Themen angehen möchten. Eine zentrale Erfahrung dabei ist: Je konkreter und verbindlicher die Projekte geplant werden, umso wahrscheinlicher werden sie (erfolgreich) umgesetzt. Diese PDF-Vorlage zeigt einen denkbaren Rahmen auf, der sich auch digital (z.B. mit TaskCards) umsetzen lässt, was die asynchrone Arbeit ermöglicht. 

Ich wünsche allen Schüler*innengewerkschaften viel Erfolg!

Am 1. November 2024 um 11:52 Uhr stürzte das Dach der Bahnhofshalle in Novi Sad ein und tötete 15 Menschen. Die Tragödie löste landesweite Trauer aus. Bürger*innen hielten um 11:52 Uhr eine 15-minütige Schweigeminute ab, um der Opfer zu gedenken. Diese Gedenkaktionen wiederholen sich seither täglich zur gleichen Zeit in ganz Serbien.

Am 22. November 2024 versammelten sich Student*innen und Professor*innen der Fakultät für Dramatische Künste in Belgrad zu einer Mahnwache. Während der angemeldeten Veranstaltung wurden sie von einer organisierten Gruppe körperlich angegriffen. Zwei Student*innen erlitten leichte Verletzungen.

Da Polizei und Staatsanwaltschaft nicht reagierten, traten die Student*innen vier Tage später in einen Streik und blockierten ihre Fakultät. Am 2. Dezember 2024 wurde daraufhin auch das Rektoratsgebäude der Universität Belgrad besetzt. In den folgenden Tagen schlossen sich weitere Fakultäten der Blockade an, darunter die Philosophische, Philologische, Chemische und Mathematische Fakultät.

In Plena, basisdemokratischen Versammlungen mit gleichberechtigtem Stimmrecht für alle Studierenden, wurde die Blockade von immer mehr Fakultäten beschlossen. Inzwischen sind über 60 Fakultäten und Hochschulen in ganz Serbien blockiert.

Wie ein Plenum funktioniert, haben die Student*innen am 03. März 2025 bei Instagram gepostet und die Zivilgesellschaft aufgerufen, sich ebenfalls so zu organisieren. Ich habe die Sharepics übersetzt, um sie auch im deutschsprachigen Raum zugänglich zu machen.