Das Schulsystem beruht auf einer klaren Zuordnung und Einteilung von Aufgaben und Ressourcen. Deshalb ist und bleibt es wahrscheinlich eine der größten Herausforderungen im digitalen Wandel, für etwas Ressourcen zu ermöglichen, das man weder klar zuordnen noch einteilen kann. Ich möchte das am Beispiel der Kommunikation, die sich gesamtgesellschaftlich nicht nur wandelt, sondern eine wesentlichen Beitrag zum Wandel leistet, veranschaulichen.

Die Zielformulierung, Kinder müssen lernen, respektvoll im Netz miteinander umzugehen, begegnet mir immer wieder. Entweder in Elternrunden oder in Debatten unter Lehrenden. Dabei geht es um Fragen einer veränderten Kommunikation. Diese Forderung ist bis auf „im Netz“ in Schulen und unter Eltern wiederkehrend. Die Formulierung verdeutlicht dabei die Vorstellung, die bisherige Kommunikation sei nur um einen weiteren Kanal ergänzt worden – quasi als Add-on. Dementsprechend fallen die Lösungsansätze aus. Bei meiner letzten Diskussion zu dem Thema wurde der Vorschlag gemacht, eine Liste mit den zehn wichtigsten Regeln zu verfassen, wie man sich bei WhatsApp, Instagram oder Snapchat zu verhalten habe. Damit wird nicht nur häufig der Fokus auf die Technik bzw. auf Apps und soziale Netzwerke gerichtet und sondern auch versucht, ein neues und unbekanntes Problem mit alten Strategien zu lösen. Weil die Fragen der veränderten Kommunikation keinem Fach zuordnen sind, greift man nach dem nächst bekannten schulischen Instrument: Einem Regelwerk. Verbreitet ist es auch auf außerschulische Expertise zu setzen und die örtliche Polizei einzuladen, die in der Regel auf die Gefahren und rechtlichen Aspekte verweist, jährlich eine in der Nähe stattfindende Veranstaltung von klicksafe.de zu besuchen oder Eltern und Kollegien einen Vortrag fachkundiger Personen anzubieten. Das kann natürlich ein sinnvoller erster Schritt sein, sich der Thematik zu nähern. Meiner Erfahrung nach endet hier leider oft der beschrittene Weg; auch aufgrund der Fragen Wie?, Welche Lehrenden? und In welchem Fach und Umfang?, die ich kurz mit anhand von Fragen diskutieren, alle und möglichst oft beantworten würde.

michelangelo-71282_1280Die sich wandelnde Kommunikation sollte differenziert und wertfrei betrachtet werden und nicht auf ein Sammelbecken für persönlich Lästiges, Unbekanntes oder Horror-Geschichten reduziert werden. Den bereits formulierten Weg, gemeinsam einen schulischen Konsens zu erarbeiten, halte ich für günstig. Nur würde ich nicht allgemeine Regeln, sondern offene Fragen als Ziel definieren. Fragen, die immer wieder jeder für sich selbst oder in Gruppierungen diskutiert.

  1. Wie kommuniziere ich und wie kommunizieren wir?
  2. Was ist mir und was ist uns bei der Kommunikation wichtig?
  3. Was kann ich und was können wir mit den heutigen Kommunikationsmöglichkeiten erreichen?

Allein diese drei bzw. sechs Fragen eröffnen die Möglichkeit das eigene Handeln auf sich bezogen und in der Gemeinschaft zu reflektieren, Werte zu diskutieren und Normen auszuhandeln. Mit den ersten beiden Fragen lassen sich alle im schulischen Alltag anfallenden Themen aus dem Bereich der Kommunikation von jeder Lehrperson jederzeit aufgreifen. Die dritte Frage erfordert nicht zwingend Erfahrung, aber zumindest Kenntnisse, um neben den (im Bildungsbereich immer noch größten Raum einnehmenden) Gefahren, Problemen oder Risiken auch die Potenziale der veränderten Kommunikation zu diskutieren. (Diese Vorgehensweise empfehle ich übrigens auch allen Eltern.) Fragen laden zum Austausch ein und bieten Freiraum und Orientierung zugleich. Fragen sind meiner Meinung nach eine Antwort auf die digitale Transformation.

IMG_28462015 wurde im Auftrag vom Langenscheidt-Verlag Smombie zum Jugendwort des Jahres gewählt. Wie so viele andere Jugendwörter des Jahres stand auch dieses im Verdacht, speziell für diese Wahl kreiert worden zu sein. Wer auch immer es in die Welt gesetzt hat, hat damit dem negativen Einfluss von Smartphones und soziale Netzwerken ein Bild verliehen, das sich bis heute unwiderruflich in viele Köpfe gebrannt hat. Die seelen- und willenlosen Wesen, die auf zu kleine Bildschirme starren, an denen das echte Leben völlig vorbeizieht, prägen so mache Debatte in Schulen und Elternhäusern. Dabei dürfen auch die Themen Cyber-Mobbing, Cyber-Sucht bzw. -Cyber-Kranksein, digitale Demenz, Sexting, Grooming, Porno-Content, Narzissmus und Selbstinszenierung oder auch gerne mal in diesem Kontext der Rundumschlag mit der allgemeinen Verrohung der Gesellschaft nicht fehlen. Weshalb gibt es so wenig positive Narrative in Bezug auf Smartphones und soziale Netzwerke? Wahrscheinlich liegt ein Teil der Antworten in diesem zeitlosen Text von Kathrin Passig. Vielleicht braucht es auch einfach mehr Menschen, die neue Bilder zeichnen. Bilder, die einladen, sich auf Neues einzulassen, zu forschen und zu entdecken, zu beobachten und nachzufragen und im besten Fall mitzumachen. So ein Bild zeichnet Stephan Porombka mit seinem neuen Buch ES IST LIEBE und greift ein Thema auf, das wichtiger nicht sein könnte und doch bisher kaum in Erscheinung tritt. Wie lieben wir in Zeiten von Snapchat, WhatsApp, FaceTime oder Instagram? Was ist neu und was ist geblieben? Was macht das mit uns und denen, die wir lieben? Ein Buch, das Liebe betrachtet, bewahrt und bewegt. Für mich bietet es zusätzlich eine Möglichkeit mit jungen Menschen in der Schule ins Gespräch zu kommen, um gemeinsam das zu diskutieren, das unser aller Leben ausmacht: Es ist Liebe.

Seit der Einführung der GFS (Gleichwertige Feststellung von Schülerleistungen) zum Schuljahr 2004/2005 (in Baden-Württemberg) und dem damit verbundenen Anstieg an Referaten suche ich immer wieder nach Alternativen zur klassischen Präsentation. Außerdem finde ich, dass die Auswahl an Möglichkeiten, wie Schüler*innen ihre Qualitäten unter Beweis stellen können, ständig erweitert und aktualisiert gehört. Deshalb bot ich im letzten Schuljahr ein paar Klassen an, ihre Noten durch eine Snapchat-Story zu verbessern. Die Idee dazu entstand als ich Patrick Breitenbachs Snaps zum Pygmalion-Effekt entdeckte. Falls jemand nicht wissen sollte, was Snapchat ist bzw. wie es funktioniert, empfehle ich das und die dazugehörigen Folgebeiträge zum Thema zu lesen.

 

Weshalb Snapchat-Story?

  • Snapchat ist ein kostenloses digitales Tool, das ein Großteil der Schüler*innen auf dem Smartphone installiert hat, täglich nutzt und daher mit dem Handling sehr vertraut ist. Natürlich erhält der Einsatz dieser App im Unterricht dadurch auch einen motivierenden Charakter. Persönliche Anmerkung: Ich bin kein Freund von für Schule produzierten Tools und Plattformen, zu denen ich junge Menschen erst hinlotsen muss; weil es a.) erfahrungsgemäß viel Kraft und Zeit kostet und b.) in der Regel gute Gründe gibt, weshalb diese nicht funktionieren. Bei Snapchat & Co. schwingt dafür aber die Gefahr mit, dass man un-/bewusst oder verstärkt auf den Trend-Zug aufspringt und die Einbindung aktueller, digitaler und hipper Tools in den Unterricht erzwingt, um ein Bild nach außen zu projezieren, das dem eigenen oder Schulportfolio entgegenkommt. (Anselm Sellen hat es hier einen Hauch kritischer formuliert.) Je mehr das zutreffen sollte, desto flüchtiger schätze ich die zusätzlich gewonnene Motivation durch das “Neue”. Ich glaube, dass nur ein (didaktisch) “gut begründeter” Einsatz einen nachhaltigen Anreiz und Gewinn für alle schaffen kann. Dass Lehrende stets der Frage nachgehen, wie man Dinge, die Schüler*innen aktuell beschäftigen, beim Lernen einsetzen kann, ermöglicht innovative, kreative und motivierende Produkte. Trotzdem darf niemals die Kernfrage “Was kann ich wie am besten lehren bzw. lernen?” an Bedeutung überboten werden. Ein sachlicher und ehrlicher Austausch mit anderen Lehrenden über eigene Ideen und Vorhaben hilft zumindest mir dabei, dieses Ziel nie aus dem Blick zu verlieren.
  • Das Format gehört zur Storytelling-Methode (Wer bei Wikipedia Storytelling in der Schule nachliest, wird beim letzten Aspekt eine zarte Abweichung zur Aussage meines Beitrags entdecken.), die wiederum in verschiedenen Varianten umgesetzt werden kann. André Hermes stellte dieses Jahr dazu auf der Veranstaltung Mobiles Lernen mit Tablets und Co. in Oldenburg u.a. die Vorzüge von Pecha Kucha im Unterricht vor. Die Snapchat-Story sehe ich als eine weitere Entwicklung dessen. Was spricht aber für die Methode? Dass man Informationen didaktisch reduzieren muss und dabei die Möglichkeiten hat, diese relativ einfach und kreativ zu verpacken. Außerdem analysieren Schüler*innen bei der Aufnahme von Snaps automatisch ihre Sprache, Gestik und Mimik. Auch rhetorische Fertigkeiten oder Möglichkeiten der Bild- und Videogestaltung können an dieser Stelle vertiefend angeboten werden.
  • Die stillen und introvertierteren Schüler*innen erhalten durch die Snapchat-Story eine Möglichkeit, sich zu einer Präsentation vor Publikum, wenn das überhaupt gewünscht oder nötig sein sollte, heranzutasten. Dabei ist der Zwischenschritt, dass sich erst einmal nur Lehrende die Snaps ansehen.

Bildschirmfoto 2016-09-02 um 02.33.15Schulpraxis konkret

Es bietet sich an, die Methode in einer Doppelstunde einzuführen. Dabei muss geklärt werden, was eine Snapchat-Story ist und Beispiele angesehen und untersucht werden. Das kann je nach Klasse unterschiedlich ausführlich und vertieft stattfinden. Am Ende sollten aber folgende Fragen und Regeln geklärt sein:

  1. Welche Themen kommen für Snapchat-Storys infrage? Autobiografien oder geschichtliche Entwicklungen, die bereits eine chronologische Struktur besitzen, eignen sich für einen einfachen Einstieg oder jüngere Schüler*innen. Komplexe Sachverhalte müssen erst inhaltlich überblickt, in Unterpunkte unterteilt und sortiert, auf das Wesentliche reduziert und in eine Erzählstruktur gegossen werden. Das wäre die anspruchsvollere Variante, die eher bei älteren bzw. stärkeren Schüler*innen Sinn macht.
  2. Wie unterteilt man eine Geschichte in adäquate Abschnitte, die man in 10 Sekunden-Snaps verpacken kann? Die Erarbeitung einer Gliederung ist methodisch nichts Neues. Hier kann man also auch auf die bisher erfolgreich angewandten Methoden zurückgreifen.  Mit Beginn der ersten Snapaufnahmen entwickelt und verfeinert sich relativ schnell das nötige Zeitgefühl für das 10 Sekunden-Limit. Im Vergleich zur Pecha Kucha-Methode, bei der gnadenlos alle 20 Sekunden das nächste Bild erscheint und die Präsentation fortschreitet, kann man hier eine misslungenen Versuch löschen und einfach eine neue Aufzeichnung starten. 
  3. Ein Storyboard erstellen. Sobald eine Gliederung steht, muss die Umsetzung der einzelnen Unterpunkte separat geplant und schriftlich festgehalten werden: Welcher Text geschrieben und gesprochen wird und welche Ton- und Bild-Elemente wie (und wann) eingesetzt werden. Tipp: Jedes Konzept für einen Snap zuerst testen, bevor man das nächste plant.    
  4. Jeder Snap muss alleine stehen können bzw. als eine eigene, abgeschlossene Geschichte funktionieren. Diese Regel habe ich von Patrick Breitenbachs Blogbeitrag übernommen. Mir geht es darum, dass die Botschaften klar und deutlich bleiben und Verschachtelungen vermieden werden.
  5. Welche audio-visuellen Möglichkeiten gibt es, um einen Snap noch anschaulicher, interessanter oder kreativer zu gestalten? Das Pygmalioneffekt-Video bietet ein breites Spektrum an Ideen, die man übernehmen, weiterentwickeln oder von denen man sich inspirieren lassen kann. Man könnte aber auch durch die (aktuell letzte) Snapchat-Linse eine andere Persönlichkeit sprechen lassen. Hier kann man sich dazu ein Beispiel ansehen.
  6. Worauf muss man bei den Aufnahmen sonst noch achten? Bild- und Tonqualität, Sprechtempo, Verständlichkeit und Sprache sollte vorher nochmal diskutiert werden.
  7. Das Thema Urheberrecht, bezüglich der Nutzung von fremdem Bild- und Tonmaterial bei Snaps, muss geklärt werden. Es bietet sich auch an, dieses Thema ausführlicher in einer Anschlussstunde zu erarbeiten, da es auch die alltägliche Nutzung der Schüler*innen betrifft.
  8. Es eignet sich die Methode Snapchat-Story in Zweier- oder Dreiergruppen einzuführen, weil nicht jede/r ein Smartphone oder die App besitzt. Natürlich besteht immer die Gefahr, dass Smartphones im Unterricht auch anderweitig genutzt werden. Freiheiten werden aber erfahrungsgemäß dann nicht missbraucht, wenn sie Basis des Arbeitens und nicht die Ausnahme sind. An dieser Stelle sollten Lehrende eine ordentliche Portion Geduld und viele Gespräche einplanen, um beobachtetes Fehlverhalten immer wieder in Einzelgesprächen und gemeinsam im Plenum zu reflektieren.
  9. Wie kommen Lehrende an die Snaps? Ich habe mir die einzelnen Snaps via AirDrop von den iPhones der Schüler*innen geben lassen. Android- oder Windows-Nutzer*innen schickten ihre Snaps via Messenger an jemanden aus der iPhone-Gruppe.
  10. Notengebung? Ich hatte über 20 Snaps als Maßstab für ein Referat angegeben, das wie eine halbe Klassenarbeit gewertet wird. Um den Aufwand einer GFS (Klassenarbeit) zu erreichen, habe ich über 40 Snaps als Ziel formuliert.

Hier habe ich drei Beispiel-Snaps einer 8.Klasse hochgeladen, die zeigen sollen, wie unterschiedlich die Umsetzungen ausfallen können.

Ich werde diese Methode auch im kommenden Schuljahr Klassen wieder anbieten. Falls dabei neue Perspektiven oder Aspekte auftauchen sollten, werde ich sie in diesem Blogbeitrag ergänzend hinzufügen. Wer an weiteren Ideen interessiert sein sollte, wie und wo man mit Snapchat Lehr- und Lernziele erreichen kann, findet jeweils hier einen Beitrag von Philippe Wampfler, hier von Monika Heusinger und hier von Peter Jochum.

PS: Mittlerweile kann man alle Snaps unter Memorys bei Snapchat abspeichern und hinterher als komplette Snapchat-Story veröffentlichen. So könnten Lehrende und Lernende nach einer Stunde eine Zusammenfassung oder eine Story als Einstieg für den kommenden Unterricht bequemer snappen.