Zum 27. Februar hatte der Bundeskanzler einen kleinen Kreis von Freiburger*innen zu einem Gespräch in die Lounge des SC Freiburg eingeladen. Spätestens nachdem er auf seinem Insta-Account ein Beitrag gepostet hatte, in dem er mich erwähnte, wurde ich von nicht wenigen Freunden und Bekannten angeschrieben und gefragt, wie das Gespräch (inhaltlich als auch auf menschlicher Ebene) verlief, aber auch wer sonst noch, wie und weshalb für diesen Austausch ausgewählt wurde. Zudem erhielt ich auch kritische Anmerkungen an sich. Dieser Beitrag soll die meisten dieser Fragen klären und ist gleichzeitig eine persönliche Reflexion der 100 Minuten mit dem Bundeskanzler.

Einladung
Vor zwei Wochen erhielt ich eine Einladung vom Team Dialog des Bundeskanzleramts, in der erklärt wurde, dass sich der Bundeskanzler Olaf Scholz in Freiburg vor Ort einen persönlichen Austausch bzw. Perspektiven und Impulse von gesellschaftlich engagierten Bürger*innen zu folgenden drei Fragen wünscht:
1.) Was macht den Zusammenhalt in Freiburg aus?
2.) Wie stärken wir die Demokratie vor Ort gegen die, die sie schwächen wollen?
3.) Wie interessieren wir andere dafür, sich für die Gemeinschaft und das Gemeinsame konkret vor Ort stark zu machen und die Gemeinschaft aktiv mitzugestalten?
Das Ziel des Gespräches sei es, Denkanstöße für die gesellschaftliche Debatte und die Arbeit der Bundesregierung aufzunehmen. (Vor Ort erfuhr ich von den anderen, dass ich nicht der einzige war, der die Einladung für nicht echt und ein Produkt digital affiner Freunde oder Spam hielt.)
Ich weiß bis heute nicht, weshalb ich eingeladen wurde. Meine Vermutung ist, dass es daran lag, dass mein Name wegen der dritten, großen Kundgebung der vielen Demokrat*innen in Freiburg in der Zeitung stand. Ich lebe seit 26 Jahren in Freiburg und kenne viele Bürger*innen, die sich wahrscheinlich deutlich länger und stärker in der Region als ich engagieren. Somit kann ich verstehen, dass der Auswahlprozess manche beschäftigt oder Unmut ausgelöst hat, dass sie nicht die Möglichkeit für ein Gespräch mit dem Bundeskanzler erhalten haben.
(Aus meiner Sicht wurde sich bemüht, eine ausgewogene und diverse Runde zu erstellen. Luft nach oben gibt es natürlich immer. Die fehlende Transparenz habe ich als Resultat der Sicherheitsvorkehrungen und knappen Zeit verstanden.)
Was können 100 Minuten mit dem Bundeskanzler leisten?
Nicht viel und viel. Als erstes sind sie ein Zeichen von Wertschätzung. Sich so viel Zeit für Bürger*innen zu nehmen und sich allen Fragen und Aussagen zu stellen, ist nichts Selbstverständliches, weil die Zeit bei so einem Amt sehr kostbar ist. Dass die Presse nicht anwesend sein durfte, habe ich als weitere Wertschätzung der Bürger*innen verstanden, weil sich so über diesen längeren Zeitraum in einem „geschützten Rahmen“ eine Atmosphäre entwickeln konnte, die zu mehr Offenheit und Ehrlichkeit führte. Wurden anfangs konkrete Ideen und Ansätzen von Initiativen, Organisationen und Personen vorgestellt, nahmen zunehmend Botschaften der Bürger*innen an den Bundeskanzler und die Bundesregierung den Raum ein.
Persönlich hatte ich mir im Vorfeld ein, zwei Punkte überlegt, die ich je nach Stimmung und Gelegenheit, dem Bundeskanzler mitgeben wollte. Das konnte ich, weil sie zu den Aussagen der anderen Freiburger*innen passten und sich gut ergänzten. Dabei ging es u.a. um den Wunsch, die Arbeit rund um politische Bildung und Demokratiebildung in und außerhalb von Schule deutlich stärker und vor allem nachhaltiger zu fördern. Auch, dass beim DemokratieCamp nur wenige Tage zuvor und in der gleichen Räumlichkeit die Frage gestellt wurde, wer und weshalb nicht gekommen war, um sich zu beteiligen. Ich verwies darauf, dass es sich dabei oft um strukturelle Probleme handle, weil Menschen schlicht die Kraft und Zeit fehle, sich ehrenamtlich zu engagieren, wenn sie in prekären Lebensumständen feststecken würden und dass die meisten dieser Baustellen eine bundespolitische Lösung erfordern.
Zuletzt ging es mir um Migration, welchen Stellenwert dem Thema zugesprochen wird, wem es nutzt und vor allem welches Menschenbild hier von ihm und anderen gezeichnet wird und welche konkreten Folgen das für Millionen von Menschen im Alltag hat. Es wurde auch angesprochen, dass der Blick auf die Ursachen von Migration gerichtet werden muss, um hierzu eine ehrliche Auseinandersetzung führen zu können. Die kleine Runde der Freiburger*innen war sich (meiner persönlichen Wahrnehmung nach) einig, dass uns eint, für ein Menschenbild einzustehen, das allen ein Leben in Würde ermöglicht und wir uns wünschen, dass dieses Bild auch vom Bundeskanzler und der Regierung gezeichnet und kommuniziert wird.
Je mehr ich darüber nachdenke, was alles von wem gesagt wurde, stelle ich fest, wie viel Zeit und Raum 100 Minuten bieten. Spannend fand ich auch die Einigkeit der Gruppe, dass es noch mehr und regelmäßig solche Möglichkeiten für einen Austausch und eine Vernetzung der Stadt und Region rund um das Thema Demokratie stärken und schützen braucht. Auch ohne den Bundeskanzler.
„Wie haben Sie Olaf Scholz als Mensch erlebt?“
Diese Frage stellten nicht nur Journalist*innen nach dem Gespräch mit dem Bundeskanzler. Was kann man über einen Menschen sagen und lernen, mit dem man 100 Minuten (ohne Kameras) verbringen durfte? Nicht viel und viel. Je offener und ehrlicher die Debatte wurde, umso mehr Einblicke in seine Denkweise und Haltung konnte man erhalten. Was er auf meine Fragen und Aussagen geantwortet hat, möchte ich nicht schreiben, weil ich den eigenen Ansprüchen, hier korrekt zu sein, nicht gerecht werden würde (und es auch aus diversen Gründen schwierig finde). Meinen Eindruck von ihm als Mensch, als Resultat seiner Antworte, kann ich aber schildern.
Wer mich kennt, weiß, dass ich kein großer Fan von Olaf Scholz bin. Manches, was er macht und sagt oder auch nicht, deckt sich nicht mit meinen politischen Vorstellungen oder den Erwartungen und Wünschen. Trotzdem muss ich auch zugeben, einen Menschen erlebt zu haben, der überzeugt ist, dass Richtige und in diesem Kontext auch alles Mögliche zu tun. Seine Begründungen und Denkweise folgten einer juristischen Logik. Ich hatte deshalb nicht den Eindruck, ihn mit meinen Worten menschlich erreichen zu können. Und das nicht, weil er es nicht zugelassen oder gewünscht hätte. Seine Offenheit und Ehrlichkeit habe ich als authentisch wahrgenommen. Das schätze ich sehr und verdient Respekt. Ich bin auch sehr dankbar für die Gelegenheit, überhaupt meine Perspektiven eingebracht haben zu dürfen.
Ich schreibe das auch, weil mich schon länger der Umgang mit Politiker*innen und wie sie wahrgenommen werden beschäftigt. In den letzten Jahren habe ich einige kennengelernt und Einblicke in Ihre Arbeit und ihren Alltag erhalten. Meiner Erfahrung nach stecken sie ebenfalls, wie die meisten anderen, in überholten Systemen fest. In der Regel ist ein politisches Ergebnis nur ein Kompromiss eines langen steinigen Weges. Deshalb erwarte ich auch keinen Wandel von oben. Der Bundeskanzler selbst meinte, auf die Bürger*innen und ihr Engagement zu setzen, wenn es darum ginge, die Demokratie zu stärken und zu schützen. Hier stimme ich ihm voll zu und hoffe, dass es gelingt, die demokratische Bewegung der Zivilgesellschaft der letzten Wochen zu verstetigen.
(Ergänzende Randnotiz: Den Unmut, die Wut und Sorge, die viele aufgrund großer, drängender und komplexer Probleme spüren, kann ich gut nachvollziehen. Jedoch nichts davon rechtfertigt, die zunehmende Aggressivität und Gewalt gegenüber Politiker*innen der letzten Monate und Wochen, die eine Schwächung der Demokratie darstellen. Vielleicht kann durch die aktuelle demokratische Bewegung eine Möglichkeit geschaffen werden, eine Debattenkultur einzuführen und zu etablieren, die eine Demokratie stärkt.)


Die grundlegenden Veränderungen unserer Lebenswelt durch den digitalen Wandel führen im Bildungsbereich seit Längerem zu Diskussionen über neue, zeitgemäße Prüfungsformate und wie sie den gewandelten Herausforderungen gerecht werden könnten. Weshalb eigentlich nicht einen Schritt weitergehen und komplett auf Prüfungen verzichten? Jährlich bereiten sich unzählige junge Menschen auf Prüfungen in Schulen und Hochschulen vor. Neben der in die Vorbereitung investierten Zeit und Kraft werden auch enorme Ressourcen für die Durchführung von Prüfungsformaten bereitgestellt. Gute Gründe, die Notwendigkeit dieser Praxis genauer zu beleuchten.