Beiträge, die ich für Online Magazine oder andere Plattformen verfasse, veröffentliche ich später auf diesem Blog, um meine Texte auf einer Website gebündelt zu haben. Dieser erschien am 18. August 2020 unter XING Klartext.
- Schule muss ein elementarer Bestandteil einer Kultur der Digitalität sein
- Sie befähigt zum Umgang mit der Komplexität der Transformationsprozesse
- Dafür braucht es einen Wandel von Strukturen, aber auch der Haltung
Covid-19 hat für die breite Masse spür- und sichtbar gemacht, was einige seit Jahren beklagen: Digitale Infrastrukturen sind an zu vielen Stellen miserabel bis gar nicht vorhanden, und es mangelt an technischen und didaktischen Kenntnissen beim Einsatz digitaler Lösungen. Dies sind aber nur die notwendigen Grundvoraussetzungen. Welches Lernen stattfindet, möglich ist und zukünftig in einer Kultur der Digitalität gebraucht wird, ist die eigentliche Kernfrage, die endlich öffentlich und vertieft diskutiert werden muss.
Welches Lernen erfordert eine Kultur der Digitalität?
Wer in der Bildung eine Rückkehr zur Normalität wünscht, sollte sich daran orientieren, was wir außerhalb des Schulgeländes vorfinden. Es geht nicht um „etwas mehr digital“, sondern darum, Schulen zu einem Ort zu entwickeln, an dem junge Menschen befähigt werden, souverän, mündig und gestaltend an der Gesellschaft teilzuhaben. Covid-19 hat transparent gemacht, was dies angesichts der digitalen Transformation für eine Kultur der Digitalität konkret bedeutet. Es wirkt sich darauf aus, wie Menschen sich informieren, Wissen erwerben und teilen, grenzübergreifend kommunizieren, mit Veränderungen und Komplexität umgehen, kreative Lösungen finden oder kollaborativ, interdisziplinär und multiperspektivisch arbeiten, um nur einige Aspekte zu nennen.
Das Potenzial des Internets in den Vordergrund stellen, nicht die Gefahren
Ohne die Kultur der Digitalität können die komplexen Transformationsprozesse weder verstanden noch gestaltet werden. Am Beispiel von Tests und Prüfungen wird dieser Konflikt sehr deutlich: Solange das Internet beziehungsweise der Zugang zu Informationen oder Expert:innen und die Möglichkeit, sich auszutauschen, zu vernetzen und gemeinsam mit anderen an Problemen zu arbeiten, nicht als notwendiger Lösungsweg, sondern als Betrug verstanden wird, können junge Menschen ihr Potenzial nicht voll ausschöpfen und werden nur unzureichend auf ihre Zukunft vorbereitet. Eine Pandemie, die Klimakrise oder andere Herausforderungen unserer Zeit können nur gemeinsam gelöst werden, global und lokal gedacht und handelnd. Genau dafür müssen Schulen jetzt die Voraussetzungen schaffen.
Kollektives Wissen und Handeln vs. hierarchische Strukturen
Wie aber kann das gelingen? Auch hier hat Covid-19 Hindernisse offengelegt und dringend nötige Veränderungen aufgezeigt. Die Begleitumstände der Pandemie erschweren langfristige Planungen und verlangen hohe Flexibilität. Sie erfordern damit das Gegenteil der vorliegenden Strukturen und Arbeitsprozesse des aktuellen Bildungssystems. Dass ein halbes Jahr nach dem Ausbruch von Covid-19 in Deutschland immer noch mehr grundlegende Fragen als Antworten vorliegen, wie das Schuljahr 20/21 erfolgreich gelingen kann, liegt auch an den hierarchischen Konstellationen, in denen wenige an der Spitze nach Antworten suchen und Entscheidungen treffen, auf die alle warten müssen, während es ihnen selbst an Handlungsspielräumen und -möglichkeiten fehlt. Stattdessen brauchen wir offene, transparente und partizipative Lösungsentwicklungen. Schulen benötigen mehr Freiheit und Unterstützung, um für sich wirksame und nachhaltige Prozesse zu gestalten.
Es braucht geistige Freiräume für Projekte und Schulentwicklung
Dies ist nicht nur eine Frage der Strukturen, sondern auch der Haltung, wenn es darum geht, Freiräume und Vertrauen zu gewähren. Auf dieser Basis haben einige Schulen in den vergangenen Monaten bewiesen, dass sie trotz „ausbaufähiger“ Bedingungen in der Lage waren, erfolgreiche, teilweise kreative Wege zu finden.
Eine Möglichkeit, diese Freiräume dauerhaft zu etablieren, wäre die Einführung der „20% time“ in Schulen. Ein Schultag pro Woche könnte offen gestaltet werden, als Barcamp oder mit sonstigen Freiräumen für Projekte und Schulentwicklung.
Der durch die Pandemie erzeugte Druck, in einigen Bereichen Neues zu wagen oder innovativ und kreativ zu handeln, wird irgendwann entfallen. In manchen Bundesländern zeichnet sich bereits ab, dass das jetzt zum neuen Schuljahr der Fall sein wird. Wenn der fehlende Druck durch möglichen Freiraum ersetzt werden würde, wäre die vielversprechendste Entscheidung getroffen, Schulen den Weg zu einer Kultur der Digitalität zu ebnen.