Schüler:innen sollten bei der Entwicklung digitaler Plattformen beteiligt werden

Beiträge, die ich als Kolumnist für das Deutsche Schulportal verfasse, veröffentliche ich drei Wochen später auf diesem Blog, um meine Texte auf einer Website gebündelt zu haben.

Vor einigen Jahren wurden digitale Plattformen im Bildungsbereich als zentraler Baustein und Lösung für „digitale Bildung“ propagiert. Durch den Fernunterricht aufgrund der Pandemie hat sich ihre Einführung und Nutzung in Deutschland in kurzer Zeit massiv gesteigert. Sie wurden seit dem vergangenen Jahr so intensiv wie noch nie in Schulen eingesetzt. Ein geeigneter Zeitpunkt, um auf diese Erfahrungen zurückzublicken, Entwicklungen zu betrachten und zu prüfen, welche Ziele mit den digitalen Plattformen bisher erreicht wurden.

Software wird im Bildungsbereich in der Regel von Erwachsenen für Erwachsene konzipiert. Junge Menschen werden bei der Entwicklung nicht beteiligt, sollen die Software aber später nutzen. Das wirkt sich bei den digitalen Produkten auf das gesamte Design aus. Ästhetik, Strukturen, Funktionen und Angebotscharakter werden so auf Bedarfe und Nutzung von Lehrkräften ausgerichtet. Und die der Schüler:innen werden, wenn überhaupt, nur aus der Sicht der Erwachsenen vermeintlich berücksichtigt. Das hat mehrere Konsequenzen.

Lernprozesse werden oft unverändert in den digitalen Raum übertragen

So ist zum Beispiel fraglich, wie erfolgreich die angestrebten Ziele mit dem Einsatz solcher Plattformen erreicht werden. Häufig werden Lernprozesse einfach digital abgebildet und aus dem physischen Klassenraum in den digitalen Raum übertragen. Digitale Plattformen sollen dabei für mehr Effizienz und Effektivität beim Lernmanagement, bei der Kommunikation und Verwaltung sorgen. Eine zentrale Frage bleibt bestehen: Werden auf diese Weise junge Menschen ausreichend auf eine Kultur der Digitalität vorbereitet und zur sozialen Teilhabe befähigt?

Der Begriff und die Beschreibung einer „Kultur der Digitalität“ entstammen dem gleichnamigen Buch von Felix Stalder von 2016. Darin nennt er Referentialität, Gemeinschaftlichkeit und Algorithmizität als wesentliche Merkmale dieser Kultur. Grob vereinfacht zusammengefasst: Mit „Referentialität“ sind digitale Bezüge, wie zum Beispiel Links und Hashtags, gemeint, mit „Gemeinschaftlichkeit“ die Entwicklung gemeinsamer Ideen, Fragen und Lösungen und mit „Algorithmizität“ Algorithmen, die erfassen und bestimmen, an welcher Stelle etwas wahrgenommen und angezeigt wird. Soziale Netzwerke funktionieren zum Beispiel nach diesen Prinzipien.

Das Agieren im Internet sorgt nicht automatisch für Medienkompetenz

Mit der Nutzung digitaler Plattformen wird bei Pädagog:innen gern die Vorstellung verbunden, dass „junge Menschen etwas im Internet machen“ und somit dieser Erfahrungs- und Lernraum in einer Kultur der Digitalität abgedeckt sei. Diese Annahme ist aber falsch. Die digitalen Plattformen aus dem Bildungsbereich ermöglichen oft nur eine intern-isolierte Kommunikation und sind nicht automatisch ein Teil der Kultur der Digitalität. So sind Beiträge zwar online, können aber nicht von außen wahrgenommen, referenziert und weiterentwickelt werden. Den Umgang mit einer digitalen Identität und die Fähigkeit, sich souverän im Netz zu bewegen, lernen junge Menschen auf diese Weise nicht.

Die Herausforderungen und Potenziale einer Kultur der Digitalität verdeutlichen, dass reformpädagogische Ansätze notwendig sind, bei denen Lernende im Mittelpunkt stehen und zu selbstständigem und eigenverantwortlichem Lernen befähigt werden. Wenn digitale Plattformen sich daran orientieren würden, müssten Schüler:innen bei ihrer Entwicklung beteiligt werden. Sie müssten mit der Plattform unterstützt und befähigt werden, eigene Lernprozesse zu initiieren, zu verstehen, zu verbessern, ihr Wissen mit anderen zu teilen und mit ihnen gemeinsam daran zu arbeiten, sich die Welt erschließen und sie mitgestalten zu können.

Digitale Plattformen müssen Jugendliche befähigen, ihr Lernen zu organisieren

Einen Ansatz, der in diese Richtung geht, verfolgt beispielsweise die Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft mit der Software „lernlog“. Hier wurden von Beginn an Schüler:innen in die Entwicklung der Software miteinbezogen, die sich aktuell in der Betaphase befindet. Dass es To-do-Listen geben soll, kam zum Beispiel von ihnen. „lernlog“ legt den Schwerpunkt auch nicht auf die Durchführung und Verwaltung von aufgabenbezogenem Lernen, wie die meisten anderen digitalen Plattformen, sondern auf die digitale Begleitung und Befähigung junger Menschen bei der Organisation ihres Lernens.

Wer digitale Plattformen im Bildungsbereich entwickelt oder einsetzt, sollte sich immer wieder fragen: Inwieweit werden überholte Strukturen und Prozesse einfach nur digitalisiert? Wem sollen sie nützen? Welche Ziele sollen mit ihnen erreicht werden? Auch wenn digitale Plattformen auf den ersten Blick als rein technische Herausforderungen erscheinen, besitzen sie eine kulturelle Dimension. Deshalb müssen sie stets Teil einer Antwort darauf sein, welche Lernkultur erreicht werden kann und muss.

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