Das Referendariat prüft nicht die Potenziale angehender Lehrer_innen, sondern ihre Fähigkeit, herauszufinden, was die Prüfenden wünschen und die Bereitschaft, das bestmöglich umzusetzen. Diese Prüfungen prägen nicht nur die Prüflinge, sondern auch die Schulkultur. Nicht positiv.
Diesen Gedanken stellte ich nach einem Gespräch mit einem Freund, der aktuell sein Referendariat absolviert, gestern Abend in verschiedenen sozialen Netzwerken zur Diskussion. Das löste einige Reaktionen (besonders bei Twitter) aus, die ich nicht alle auffangen kann. Deshalb möchte ich den Kontext meiner Aussagen etwas erläutern, in der Hoffnung, einige Missverständnisse ausräumen, bzw. zu einem besseren Verständnis beitragen zu können.
Bei dem veröffentlichten Gedanken ging es mir nicht um das Referendariat an sich (das würde sogar den Rahmen eines Blogbeitrags sprengen), sondern in erster Linie um das Wesen einer 45-minütigen Lehrprobe, die (verkürzt und überspitzt) daraus besteht, jede Sekunde geplant und kontrolliert zu wissen. Was häufig dazu führt, dass Aufgaben formuliert werden, bei denen jede mögliche Antwort vorher schon feststeht. Es wird also geprüft, ob etwas wie vorhergesehen funktioniert. Und ich zweifle daran, dass das Funktionieren in vorhersehbaren Abläufen eine noch adäquate Antwort im digitalen Wandel darstellt und stelle gleichzeitig die Frage zur Debatte, wie und welche Potenziale angehender Lehrerinnen und Lehrer geprüft werden sollten.
„Das möchte Prüfer x sehen.“ oder „Darauf legt Prüferin y einen besonderen Wert.“ sind gängige Aussagen, wenn Referendar_innen über die Vorbereitung ihrer Lehrprobe berichten. Die Ursachen dafür sind vielschichtig. (Es ging und geht mir hier auch nicht um Schuldzuweisungen, sondern ein zu lösendes Problem anzusprechen. Zumindest sehe ich es als eines.) Dass Prüfungen nicht nur die Prüflinge, sondern auch die Schulkultur prägen, bezog sich auf die Beobachtung, dass Schüler_innen in der Regel versuchen, im Unterricht eine Antwort zu formulieren, die sie vom Lehrenden gewünscht vermuten. Das zu antworten, was Lehrende hören möchten, deckt sich nicht mit meiner Vorstellung von zeitgemäßer Bildung, bzw. den Herausforderungen der Digitalen Transformation.
Natürlich hängt eine Prüfung nicht allein vom Format ab, sondern auch von den Personen, die es umsetzen. Wenn ich eine Prüfung nennen müsste, die ich aus meiner Biografie als am gelungensten beschreiben würde, wäre es meine fachdidaktische mündliche Prüfung im Fach Geschichte. Hier erzeugte mein damaliger Prüfer eine angenehme Gesprächsatmosphäre, die von gegenseitigem Respekt zeugte und mehr Diskussion als Prüfung war. Und das beim klassischen Format, bei dem zehn Minuten lang nur Fragen gestellt werden. Das lag meiner Meinung nach u.a. daran, dass er herausfinden wollte, was ich weiß, bzw. denke und nicht nachweisen, was ich nicht kann. Ich hatte auch das Gefühl, dass ihm die Tragweite seiner lebenswegweisenden Entscheidungen, seine Macht und Verantwortung stets bewusst war. Diese Erfahrung, sein Verständnis einer Prüfung und seine Haltung gegenüber den Prüflingen haben meine Vorstellungen und Handlungen in der Schule mit geprägt.
Prüfungen und Lehrproben sind zwar nur ein Bestandteil des Bildungssystems. Sie machen aber deutlich, wohin die Reise führen soll, bilden eine klare Rollenverteilung, bzw. ein Machtgefüge ab und bestimmen damit wesentlich die Bildungskultur, bzw. das Bildungsverständnis. Das gilt für die Schulzeit, das Studium und das Referendariat. Wer sich zeitgemäße Lernprozesse wünscht, muss deshalb neben Unterrichts- und Schulstrukturen auch Tests, Klassenarbeiten und Prüfungen diskutieren.
Persönliche Anmerkung
Weil ich sich doch einige Personen persönlich angegriffen gefühlt haben, weil sie selbst Referendarinnen und Referendare prüfen und sich oder ihre Arbeit in einem schlechten Licht oder nicht richtig dargestellt sehen: Es geht mir nie um Personen, sondern stets um die Sache. Die gilt es meiner Meinung nach immer kritisch denkend zu reflektieren. Das ist zumindest mein Verständnis, bzw. meine Haltung im Rahmen von zeitgemäßer Bildung. Es freut mich, wenn meine oben geschilderten Erfahrungen, Beobachtungen und Einschätzungen nicht auf eure Arbeit zutreffen. Dass der Tweet so viel Zuspruch erfahren hat, zeigt aber leider auch, dass es auch andere Beispiele gibt und darüber gesprochen werden muss.
Ich war ja erst skeptisch – wieder so ein Fachleiter-Bashing…dann habe ich aber doch etwas genauer gelesen und bin nachdenklich geworden. Zeitgemäße Bildung heißt für mich auch, die Bildungsbeteiligten als gleichwertige Partner anzusehen. Leider ist das im Prüfungskontext noch immer problematisch und streng hierarisch (hier die Experten, dort der Lerner bzw. Referendar). Obwohl ich meinen Referendaren immer versichere, dass es nicht darum geht, etwas zu zeigen, was FL gerne sehen wollen, passiert das in Prüfungen leider immer noch, weil leider auch immer noch viele Fachleiter bestimmte Erwartungen haben, die unbedingt erfüllt werden müssen. Ich finde wichtiger, dass Referendare mit Blick auf die von Ihnen selbst gewählten Ziele der Stunde zeigen, was sie mit Blick auf die Lerngruppe (und nicht die Prüfungskommission) als angemessen ansehen. Wir Fachleiter müssen uns dann offen darauf einlassen und sollten dann eigentlich mit allen Bildungsbeteiligten (also Referendar und vielleicht auch Schülerinnen und Schüler) mehr gleichberechtigt ins Gespräch kommen, um herauszufinden, wie erfolgreich ein gewähltes Vorgehen war. Oftmals sind ja gerade die SuS die eigentlichen Experten für guten Unterricht, deren Meinung spielt für solche Prüfungen aber leider keine Rolle. Vielleicht würde sich dann auch die Schulkultur langfrisitig ändern- Danke für den Impuls…
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