Sinn und Unsinn von digitalen Schulbüchern – Blogparade #Schulbuch2015

Dieser Beitrag ist Teil der von Philippe Wampfler initiierten Blogparade #Schulbuch2015.

(Eine kurze Begriffsklärung vorab, um Missverständnisse zu vermeiden: Das digitale Schulbuch ist kein digitalisiertes Schulbuch, das lediglich das bisherige Schulbuch als pdf-Datei zur Verfügung stellt. Ein Minimalkriterium für ein digitales Schulbuch sehe ich in einem Anteil von interaktiven Elementen.)

Wie setze ich Schulbücher 2015 ein?

In Mathematik setze ich es regelmäßig ein, um Gelerntes zu üben und zu vertiefen. Der Aufwand, hierfür eigene Aufgaben zu erstellen, um (eventuell) eine Steigerung der Unterrichtsqualität zu erreichen, steht bei der dafür nötigen Menge in keiner Relation zum möglichen Ergebnis. In Geschichte nutze ich ausgewählte Verfassertexte oder Quellen älterer Bücher, um nötige Inhalte zu erarbeiten oder zu vertiefen. In Chemie benötigt man meiner Meinung nach kein Schulbuch.

Wie nutzen Schüler Schulbücher?

Ich behaupte, dass nur ein geringer Teil der Schüler mit Schulbüchern so lernt, dass man es unter Erkenntnisgewinn verbuchen könnte. Meiner Einschätzung nach sehen sie Schulbücher eher pragmatisch, als Einschränkung von Wissen, das bei der nächsten Arbeit abgefragt werden kann. Daraus könnte man aber auch ableiten, wie Lehrer Schulbücher nutzen. Die vorhandene Qualität von Schulbüchern wird von Schülern entweder nicht erkannt oder gewürdigt, weil es SCHULbücher sind. Das wird besonders deutlich, wenn sich Schüler für ein Referat auf die Suche nach verwertbarem Material machen sollen. In zwölf Jahren Unterricht habe ich es selten bis gar nicht erlebt, dass jemand auf die Idee kam ins Schulbuch zu schauen. Dass Schule ab einem gewissen Alter „uncool“ ist, mag ein Teil der Erklärung für diese Haltung gegenüber Schulbüchern sein. Dass Schüler anders lernen, scheint mir ein größerer Teil der Begründung zu sein. Wer an dieser Stelle die bequemen Schüler nennt, die Lösungen via Copy-Paste aus dem Netz ziehen, sollte eher seine Aufgabenstellung überdenken. Ich sehe hier z.B. keinen Unterschied zu Lehrern, die Arbeitsblätter anderer nutzen, um damit einen Zweck zu erfüllen. Die Frage „Weshalb soll ich etwas neu machen, das schon vorhanden ist?“ stellen sich auch Schüler. Schulbücher sind von Lehrern für Lehrer konzipiert. Nicht für Schüler.

Welche Funktionen übernehmen (digitale) Schulbücher?

(Das „digitale“ steht Klammern, weil die Funktion sich nicht ändert.)

– Schulbücher bieten Schülern (Eltern und Lehrern) ständige Transparenz und Orientierung bezüglich des Inhalts und Ablaufs. Im Krankheitsfall wird das besonders deutlich, wenn der Lehrer lediglich die Seiten und Aufgaben angeben muss, die nötig sind, um den versäumten Stoff nachzuholen.

– Schüler können sich über Aufgaben aus dem Schulbuch am Unterricht beteiligen. Durch Interaktivität gewinnt das digitale Schulbuch an zusätzlichen Möglichkeiten.

– »Buch ersetzt Lehrer« (Ich weiß, dass Lehrer nicht die einfachsten Eltern bei Elternabenden sein können. Deshalb halte ich mich in der Regel an mein selbst auferlegtes Schweigegelübde. Einmal brach ich es:) Auf die Frage, wie es sein kann, dass mein Kind in Mathearbeiten bei richtigen Antworten keine Punkte erhielt, antwortete mir einmal eine Grundschullehrerin: „Das stand dann nicht so als richtige Lösung in meinem Buch. Wenn es stimmt, was Sie sagen, werde ich gleich morgen dem Verlag schreiben.“ »Buch ersetzt Lehrer« ist tatsächlich das schlimmste Szenario, das ich bisher erlebt habe. Ja, es gibt Lehrer, die zusätzlich zum Schulbuch ausschließlich vom Verlag vorgegebene Übungen, Tafelaufschriebe und sogar Arbeiten nutzen. Diese Fälle finden sich nicht nur beim fachfremden Unterrichten.

Safety first

Den Erfolg des Schulbuches vermute ich aber nicht in seiner Funktion, sondern dem Sicherheitsbedürfnis, dass es befriedigt. Offene Unterrichtsformen können auch mal scheitern. Ein Schulbuch ist erprobt und funktioniert immer. Die Qualität der Quelle ist gewährleistet, erfordert in der Regel keine weiteren Prüfungen und schützt die Schüler vor einer Überforderung durch eine Informationsflut, wie wir sie beispielsweise im Netz vorfinden. Das Urheberrecht ist eindeutig geklärt. Deshalb bin ich auch überzeugt, dass es dieses Format auch noch lange geben wird.

Content statt Schulbuch

Foto 25.10.15, 14 46 01 (1)Auf dem Digital Education Day in Köln 2015 habe ich gestern mit vielen Teilnehmern in einer Session »Sinn und Unsinn des digitalen Schulbuches« über meine Frage A8 vom letzten EdchatDE diskutiert und am Ende meine Idee, wie Lehrer morgen arbeiten könnten, vorgestellt. (Ich erwähne hier nur die Lehrer und nicht die Lernenden, weil ich, wie oben bereits erwähnt, das Material, das bisher gedruckt und zukünftig auch digital zur Verfügung gestellt sein wird, (hauptsächlich) für Lehrer und die Arbeit, die man von ihnen erwartet, sehe.) Was wäre, wenn Schulbuchverlage, die bereits ein gut funktionierendes Netzwerk haben, lediglich Content zur Verfügung stellen würden? Ich suche mir dann als Lehrer für den Betrag x einzelne Verfassertexte oder Quellen aus, die ich (gegen Entgelt?) auch weiter bearbeiten und publizieren könnte; vielleicht sogar auf der gleichen Plattform, von der ich das Material vorher bezogen habe. So könnte man neue, bisher unentdeckte Potentiale fördern und einbinden. Zumindest könnte ich mir so einen Kompromiss in der aktuell angespannten Situation zwischen OER-Befürwortern und den Schulbuchverlagen vorstellen. (Dafür müsste man aber das leicht angestaubte Urheberrecht überarbeiten.)

Das Netz ist das Gegenteil von Schule

Das Netz ist schnell, flexibel, offen, unterliegt nicht strengen Reglementierungen und entwickelt sich ständig weiter; immer in Bewegung. Und weil das Netz das Gegenteil von Schule ist, ist es für Schüler nicht nur reizvoll, sondern bietet ihnen Möglichkeiten, auf sie zugeschnittene Kanälen und Informationen zu entdecken, sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen und auszutauschen. Jöran bringt es in seinem Interview auf den Punkt, indem er von einer digitalen Parallelwelt fürs Lernen spricht. Ich glaube, dass es bei dieser Debatte um mehr geht. Das Denken in Schulbüchern steht (für mich) nur stellvertretend für das Festhalten an bisher bekannten und bewährten Mustern, die in die digitalisierte Welt übertragen werden sollen. So erkläre ich mir auch die Idee von digitalen Schulbüchern. Das Verständnis von wie und was gelernt werden soll, macht hier den Unterschied. Bisher haben wir größtenteils das Portionieren von Wissen, das in einem pädagogisch durchdachten Rahmen von Zeit und Form, Schüler erwerben sollen, um das Erlernen gesellschaftlich relevanter Themen inhaltlich zu sichern und mündige Mitsprache zu ermöglichen. Natürlich gab immer schon Lehrende, die das Lernen selbst, frei von Inhalten, als Lust am Erkenntnisgewinn, auch unter dem Aspekt des Erwerbs von Mündigkeit, anstrebten. Nur waren und sind das bisher Randerscheinungen. Und was früher schon im prädigitalen Zeitalter möglich war, ist jetzt durch das Netz auf einer höheren Stufe der Möglichkeiten gestellt worden. Meiner Meinung nach liegt das Potenzial des Netzes noch brach und der Blick auf den Schüler aus der Lernendenperspektive kommt zu kurz. (Differenziertes und individualisiertes Lernen, das die aktuellen Schulbücher und Arbeitshefte füllt und zurzeit auf keiner Fortbildung fehlen darf, sehe ich nur als Optimierung des bisherigen Lernens aus Sicht des Lehrenden.)

Ich finde die kontrovers diskutierte Debatte über WLAN oder mobile Endgeräte in Schulen wichtig. Ich wünschte, wir würden dabei die Themenfelder Lernen und Bildungsgerechtigkeit stärker einbinden.

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