Das deutsche Schulsystem und die Lehrer-Ausbildung wurden immer schon breit diskutiert. Ich möchte mit diesem Beitrag einen Blick auf die Lehrer-Fortbildungen (in Baden-Württemberg) richten und zur weiteren Debatte anregen. In Baden-Württemberg bieten Fortbildner, die als Experten gefragt wurden oder sich als solche beworben haben, an unterschiedlichen Standorten und zu allen schulischen Themen Fortbildungen an. Veranstalter ist die Abteilung 7 – Schule und Bildung der jeweiligen vier Regierungspräsidien in Stuttgart, Karlsruhe, Freiburg oder Tübingen. Die Angebote werden in der Regel nach Bedarf generiert; meist spielen schulpolitische Entscheidungen des Landes, Anmeldezahlen bei bereits bestehenden bzw. vergangenen Angeboten oder Anregungen der Fortbildner eine Rolle. Ich möchte den Ablauf und das Problem am Beispiel Medienbildung kurz skizzieren:
Mit dem Schuljahr 2016/17 greift in Baden-Württemberg der neue Bildungsplan und mit ihm die Einführung der Leitperspektive Medienbildung. In Klasse 5 muss dazu ein Basiskurs durchgeführt werden. Um die Umsetzung zu gewährleisten, wird bis Juli 2016 die Fortbildung Umsetzung Basiskurs Medienbildung in Klasse 5 mehrfach an unterschiedlichen Standorten des Landes angeboten, damit einzelne Kollegen, die diese Aufgabe an ihrer Schule übernehmen sollen, darauf vorbereitet werden. Alle Infos rund um die Leitperspektive Medienbildung, den Basiskurs und die dazugehörigen Fortbildungen findet man hier. Mit dieser Vorgehensweise kommt das Land seiner Pflicht nach, Lehrer zur Umsetzung des Bildungsplans zu befähigen. Nennen wir es ein machbares Minimalziel. Wenn man aber langfristig das Erreichen der formulierten Ziele für die Leitperspektive Medienbildung ernsthaft anstrebt, wird man eine andere Form der Weiterbildung, Vernetzung und Arbeit von Lehrern benötigen.
Das aktuelle Fortbildungssystem
Ein kleiner ausgewählter Kreis von Fortbildnern gibt Wissen punktuell an einen großen Kreis von Lehrern linear weiter. Die Rollenverteilung ist eindeutig auf den Wissensvermittler und Wissensempfänger festgelegt. Was dazu führt, dass Lehrer, die ebenfalls über Know-how verfügen, sich erst gar nicht zu Fortbildung anmelden, weil nach diesem Muster ein Austausch (in der Regel) nicht vorgesehen ist. Das ist aber nicht das einzige Problem dieses Fortbildungsformats. Lehrer einzeln fortzubilden, damit sie dann das Know-how in ihrer Schule als Multiplikatoren streuen und verankern, funktioniert kaum bis gar nicht. Sobald ein Lehrer an seine alte Wirkungsstätte zurückkehrt, verpufft der Elan durch das neu erworbene Wissen bereits nach kurzer Zeit, weil er die Hürden des schulischen Alltags (alleine) nicht überwinden kann. Ergänzend zu diesem klassischen Modell gibt es noch die Möglichkeit, dass Fortbildner an eine Schule kommen, um mit dem (ganzen) Kollegium vor Ort zu arbeiten. (Diese Variante scheint, nach Austausch mit einigen Kollegen unterschiedlicher Schularten und Bundesländer, effektiver zu sein. Die Ressourcen für diese Art der Fortbildung sind aber gering.) Einen weiteren Knackpunkt sehe ich bei den Fortbildnern selbst. Die Anzahl ist begrenzt, Qualität nicht garantiert und Transparenz nicht gegeben. Welche Tragweite die finanziellen Aspekte in dieser Zusammensetzung haben, kann ich nicht abschätzen. Ich vermute aber auch hier Luft nach oben.
Wir brauchen offene Fortbildungsformate
Die größte Schwäche des bisherigen Systems liegt beim brachliegenden Potential. Da nicht jeder Lehrer Fortbildner sein kann oder es nach dem jetzigen Verfahren möchte, bleibt viel Know-how ungenutzt. Deshalb brauchen wir offene Fortbildungsformate, die dem entgegenwirken. Im Barcamp-Format sehe ich eine Möglichkeit. Hier kann jeder völlig unkompliziert, ohne weitere Verpflichtungen und für eine kurze Zeit die Rolle des Fortbildners übernehmen. Da eine Barcamp-Session immer Raum für einen Austausch bietet, verläuft die Wissensvermittlung nicht linear, sondern kann dazu führen, dass Konzepte weiterentwickelt werden oder neue Ideen entstehen. Man bringt sich gegenseitig auf den neuesten Stand und vernetzt sich. In der schul-, schulart- oder landesübergreifenden Vernetzung von Lehrern sehe ich ein großes Potential; nein, eine Notwendigkeit, wenn man den Ansprüchen des 21. Jahrhunderts gerecht werden möchte. Bei Barcamps bleibt das erworbene Wissen nicht nur bei den Teilnehmern, weil es in der Regel protokolliert und öffentlich zu Verfügung gestellt wird. Mir gefällt auch die effiziente Bedarfsanalyse, indem man schlicht die Anwesenden nach ihrem Interessen fragt. Gerade im Bereich der Medienbildung, in dem sich das Wissen in permanenter Weiterentwicklung befindet, brauchen wir solche flexible Strukturen, um den Bogen zu meinem anfänglichen Beispiel zu spannen.
Ich weiß, dass Systeme sich selbst erhalten und mein Wunsch nach einer Änderung diesen Blog höchstwahrscheinlich nicht verlassen wird. Deshalb schlage vor, ergänzende Angebote zu schaffen. Zum Teil gibt es sie schon: Die zahlreichen Educamps oder der jährliche DED (Digital Education Day) der Stadt Köln sind gute Beispiel dafür. Das genügt aber nicht. Auch hier pilgert eine überschaubare Gruppe von engagierten Lehrern von einem zum nächsten Ort der Republik; am Wochenende oder in der unterrichtsfreien Zeit und auf eigene Kosten. Der Anspruch dieser Lehrer, ihren Unterricht an die gesellschaftlichen Entwicklungen und Herausforderungen anzupassen, braucht mehr als verbale politische Unterstützung. Die Verantwortung hierfür sehe ich nicht beim Land allein. Jede Gemeinde bzw. Stadt müsste sich Gedanken machen, ob und welche Schritte sie diesbezüglich leisten kann, möchte oder sogar sollte. Ich werde mich zumindest dafür einsetzen, dass diese Fragen in Freiburg diskutiert werden. Da politsche Entscheidungen einen langen Atem haben, lohnt es sich immer einen Plan B zu entwickeln.
Plan B – Schulen als dezentrale Lösung
Weshalb veranstalten nicht Schulen ein offenes Barcamp? Man könnte mit ein paar Schulen starten und anschließend die Umsetzung evaluieren und optimieren. Die Idee stammt von Rüdiger Fries, mit dem ich kürzlich telefonierte, um mich zum Thema Lehrerfortbildungen auszutauschen; wobei wir nach Antworten auf die Frage „Wie bekommt man die Lehrer, die zu solchen Formaten noch keinen Zugang haben, mit ins Boot?“ suchten. Dass und wie es klappen kann, hat Felix Schaumburg freundlicherweise hier dokumentiert. In seinem Fall ging es um das Thema Schulentwicklung und war nicht offen für schulexterne Teilnehmer. Die dezentrale Lösung, mit Schulen als selbständige Entwickler von Fortbildungsangeboten, würde bedeuten, dass Lehrer ihre passive Rolle aufgeben. Dafür wäre ein Umdenken im Lehrerzimmer und ein emanzipatorischer Prozess notwendig. Ein langer, steiniger aber auch notwendiger Weg.
Kleine Ergänzung: Das BarCamp zur Schulentwicklung war offen für Externe, allerdings wurde diese Möglichkeit im zweiten Durchgang leider nicht angenommen. Im ersten Durchgang (http://www.ge-nord.de/blog/2013/06/14/planbar-2013-eindrucke/) hatten wir diverse Interessenten aus dem Stadtteil und den städtischen Einrichtungen dabei.
Ich pflichte Dir bei: Mehr BarCamp wagen!
LikeGefällt 1 Person
Vielen Dank für die Ergänzung. (Weil du von „Stärkung der Schulgemeinschaft“ geschrieben hattest, ging ich davon aus, dass es nicht offen war.)
LikeGefällt 1 Person
Lieber Dejan,
du hast absolut recht. Vor allem wichtig ist die angesprochene Regionalisierung. Diese würde auch dazu führen, dass nicht nur „eine überschaubare Gruppe von engagierten Lehrern von einem zum nächsten Ort der Republik […] pilgert“.
Der Grundschullehrer Florian Emrich, @Bingenberger hat etwas Ähnliches vor einiger Zeit auf Twitter angesprochen: „Nachhaltige Lehrerfortbildung gesucht. Wie wäre es mit regelm. (regionalen) Barcamps um (best) practice vorzustellen?“ https://twitter.com/bingenberger/status/662646653590093824
Du nennst einige deutliche Vorteile. Mir erscheinen weitere Vorteile solcher, dann zwangsläufig kleineren Barcamps groß:
– gute, nachhaltige Vernetzung der digital affinen Kolleginnen und Kollegen untereinander (das bedeutet zugleich auch, dass man weiß, wen man vor Ort ansprechen kann, wenn man dieses oder jenes Problem hat),
– überschaubare Teilnehmerzahl?,
– konkrete Einblicke in den Unterricht und die Bedürfnisse der Kolleginnen und Kollegen an der abgebenden Grundschule, der Nachbarschule, der anderen Schulform,
– Wahrnehmung der Fortbildung im Bereich „Unterrichten mit digitalen Medien“ nicht als „Treffen von Nerds“, sondern als „naheliegende“ Möglichkeit zu unterrichten,
– Rücksichtnahme auf regionale Gegebenheiten (Rechenzentrum, Planungen der Städte und Gemeinden etc.)
Es gibt sicher noch weitere Argumente.
Danke jedenfalls für deine schöne Argumentationshilfe, das wird mir hoffentlich die Argumentation für unser Barcamp vereinfachen. Unsere Lehrerfortbildung im Rhein-Kreis Neuss bietet ein solches Barcamp „Digital Lernen“ nach den Osterferien zum dritten Mal an. Die Beteiligung war bisher eher verhalten, der Effekt hingegen hoch. Du erinnerst dich vielleicht: https://twitter.com/albrechthermann/status/592701615347474432 Sobald die Planungen für dieses Jahr gereift sind, schick ich dir eine Nachricht auf Twitter.
LikeGefällt 1 Person
Stimme dir völlig zu. Die Liste der Voreile ist weitaus umfassender und wurde von mir nur grob angerissen. Vielen Dank für deine Ergänzungen!
LikeLike
Hallo Dejan,
vielen Dank für den guten Beitrag gleich zu Beginn des Jahres. Ich stimmte dir in fast allem zu. In fast allem. Nur dein Plan B gefällt mir nicht. Am wenigsten gefällt mir daran, dass es nur der Plan B ist. Denn ich glaube, dass in der Kombination aus der regionalen Vernetzung in BarCamps und der schulinterne Zusammenarbeit, auch in BarCamps aber auch in alltäglicheren Formaten, die Lösung liegt.
Du hast Recht, wir brauchen Vernetzung, damit sich Unterricht weiter entwickeln kann und wir müssen in zunehmendem Maße den Lernenden beibringen, vernetzt zu denken und zu arbeiten. Ich vermute: Das wird uns nur gelingen, wenn wir diese Denk- und Arbeitsweisen in Schulen verankern können.
Damit bekäme dann auch dein letzter Satz eine andere Drehung: Wir brauchen ein Umdenken im Lehrerzimmer nicht, weil Lehrer dann weniger passiv wären, wir brauchen es damit Schulen als Ganzes, nicht einzelne Lehrer, ihrem Auftrag weiterhin gerecht werden können.
Viele Grüße,
Richard
LikeGefällt 1 Person
Vielen Dank, Richard. Ich stimme dir in allen Punkten zu. Ja, Plan B ist eigentlich auch mein Plan A, den ich in Freiburg anstrebe. :)
LikeLike
Hallo Dejan,
toller Beitrag. Ich habe zwar noch nie an einem Barcamp teilgenommen, hört sich aber sehr vielversprechend an.
Eine Alternative dazu sehe ich auch in den online Fortbildungsmöglichkeiten, wie MOOCs oder anderen vernetzenden Aktivitäten (eTwinning, soziale Medien, etc.).
Ich arbeite für European Schoolnet und wir haben die Erfahrung gemacht, dass MOOCs sich super dazu eignen den Netzwerkeffekt herzustellen, den du ansprichst. Die Inhalte unserer MOOCs werden normalerweise von unterschiedlichen Lehrern erstellt (z.B. Videoobservationen, Schülerinterviews, Lehrerinterviews, etc.), allerdings sind diese Inhalte eher sekundär und dienen viel mehr der Stimulation von Diskussion und Austausch der Kursteilnehmer, so daß die Expertise von zahlreichen Kollegen zum Zuge kommt. Dadurch entsteht oft ein „community“ Gefühl bei den Teilnehmern und der Austausch zwischen Kollegen findet noch lange nach Ende des Kurses statt.
Dadurch das MOOCs, zumindest dem ersten Anschein nach, auch eine eher traditionelle Kursstruktur haben, werden eher passive oder ängstlichere Kollegen nicht gleich überfordert oder erschreckt. Wir haben öfters beobachtet wie Kursteilnehmer bei ihren ersten MOOCs nur sogenannte „Lurkers“ sind, also nicht aktiv an den Diskussionen teilnehmen und dann auf einmal zu aktiven „Experten“ werden, die ihren Kollegen helfen und rege mitdiskutieren.
MOOCs und andere online Fortbildungsformate haben auch den Vorteil, dass man die Expertise von Kollegen einbindet, welche aus einem anderen Umfeld als man selbst stammen. Vielleicht können wir ja auch was von Kollegen lernen, die in Bremen, München, Frankreich, Schweden oder Indien arbeiten? Auf jeden Fall ist lokaler Kontext auch wichtig, aber es sollte nicht dabei bleiben sich nur mit Kollegen aus dem eigenen Bundesland auszutauschen.
Natürlich haben MOOCs auch klare Nachteile und am besten wäre sicherlich wenn diese online Fortbildungsformate mit face-to-face Formaten wie dem Barcamp oder schulinternen Diskussionsgruppen verbunden werden.
Lieben Gruß aus Brüssel,
Benjamin
LikeLike