Soziale Normen, Netzwerke und Lehrende am Beispiel Twitter

Bildschirmfoto 2018-01-05 um 13.06.56Wer einem sozialen Netzwerk beitritt, kennt das Gefühl, sich zuerst orientiert zu müssen. Neben der Klärung technischer und elementarer Fragen, wie der persönlichen Nutzung und Rolle, beginnt gleichzeitig und mehr oder weniger bewusst die Suche nach sozialen Normen und Ordnungen im digitalen Raum*. Am Beispiel Twitter betrifft das u.a. folgende Aspekte: Was und wie man schreibt, liket, retweetet, verlinkt und kommentiert oder wem man folgt, wann man zurückfolgt, entfolgt, blockt und stummschaltet. Soziale Normen können sich nicht nur zwischen den sozialen Netzwerken unterscheiden, sondern stehen auch in Abhängigkeit zur selbst zusammengestellten Timeline. Hierin mag viellicht auch die größte Attraktivität und Abweichung zum analogen Raum liegen. Als soziale Norm kann bei Twitter der timelineübergreifende Konsens bei gewissen Themen bezüglich der Handlungserwartungen verstanden werden. Zum Beispiel das Duzen oder die Ächtung kopierter, fremder Tweets, die als eigene ausgegeben werden. Nachdem die Anzahl der Lehrenden in sozialen Netzwerken immer stärker zunimmt, möchte ich mit ein paar Gedanken und Fragen zur anfänglich erwähnte Orientierung am Beispiel Twitter beitragen.

Reflexion vs Reichweite

Der aktuell beliebte Hashtag #Twitterlehrerzimmer verdeutlicht ganz gut die Ausgangslage und Schwierigkeiten für Social Media-Neulinge und eine Parallele zur Situation im analogen Lehrerzimmer. Wer schon einmal die Schule gewechselt hat, kennt das beim Betreten anfängliche Abtasten nach sozialen Normen und Ordnungen. Nur ist das Twitterlehrerzimmer öffentlich, für alle transparent und Teil eines größeren digitalen Raumes. Die Handlungswartungen sind nicht rein von Lehrenden geprägt, sondern auch von der restlichen Twitter-Community. Ein besonderes Twitter-Phänomen, das wahrscheinlich aus der ehemaligen Begrenzung auf 140 Zeichen und der damit verbundenen Reduktion auf das Wesentliche resultiert, ist das hohe Ansehen vom Spiel mit der Sprache. Jede kreative Wortschöpfung oder treffende Formulierung wird mit Likes und Retweets belohnt. (Es existieren zahlreiche anonymisierte Accounts mit mehreren Tausend Follower, über die ausschließlich witzige, tiefsinnige oder originelle Tweets generiert werden.) Dass man mit wenig Aufwand schnell und viel Aufmerksamkeit erreichen kann, beflügelt zusätzlich; auch, dass Tweets in Zeitungen, Büchern oder im Fernsehen zitiert werden. Manchmal bleibt beim Wetteifern die nötige Distanz und Reflexion auf der Strecke und erinnert an eine Konditionierung, in der Likes, Interesse und Ansehen als Verstärker dienen. Kann man von Lehrenden erwarten, reflektierter als andere zu twittern? Ich würde das bejahen, da sie ihrer Vorbildfunktion im öffentlichen Raum nachkommen und spätestens bei Äußerungen über die eigene oder fremde Schule, Klassen, Schüler_innen, das Kollegium oder sonstige Interna, die man so auch nicht einem Freund über die Sprechanlage einer Straßenbahn verkünden würde, sorgfältig abwägen müssen. Lehrende erheben übrigens nicht selten für sich den Anspruch, medienkompetenter als andere zu sein.

Entwicklung sozialer Normen

Wie geht man in sozialen Netzwerken mit Trollen, Fake News, Hate Speech oder rassistischen Tweets, die Teil einer gezielten politischen Provokation, sind um? Letzteres wird seit Tagen sehr kontrovers diskutiert. Diese Debatte steht für die Entwicklung bzw. Weiterentwicklung sozialer Normen in der digitalen Transformation. Die bisherige Handlungserwartung, auf die man sich gegenseitig immer wieder durch den Hashtag #StopMakingStupidPeopleFamous aufmerksam gemacht hat, wird nun in Frage gestellt. Sollte man rassistische Äußerungen tatsächlich ignorieren? Trägt man damit nicht dazu bei, dass diese ohne einen Widerspruch salonfähig gemacht werden? Wer und weshalb Tweets verfasst, spielt aus meiner Sicht hierbei eine wesentliche Rolle. (Wenn sich Lehrende entscheiden, den Weg in die sozialen Netzwerke zu beschreiten, sollten sie für sich geklärt haben, ob, wann und wie sie sich zu politischen Geschehnissen äußern. Neben den Herausforderungen im Social Media-Kontext, die sich durch den Beutelsbacher Konsens ergeben, empfiehlt es sich, eine persönliche Strategie zu entwickeln, die mögliche Mechanismen und aktuelle Erkenntnisse berücksichtigt. Zum Thema Fake News sollte man zum Beispiel diesen Beitrag von Michael Kreil gesehen bzw. gehört haben.) Dass man sich immer wieder an passender Stelle öffentlich gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ausspricht, finde ich wichtig und notwendig. Wenn aber bekannt ist, dass eine Partei gezielt rassistischen Aussagen bzw. Provokation platziert, um so eine größere öffentliche Wahrnehmung zu erreichen und im gesellschaftlichen Diskurs die Themen zu diktieren, wird die Sache komplexer.
Ich kann allen Lehrenden nur empfehlen, sich den Debatten anzuschließen, die sozialen Normen in sozialen Netzwerken mitzugestalten und das alles auch in die Schulen zu tragen.

*Mich stört die begriffliche Unterscheidung zwischen RL (Real Life) bzw. offline und digitaler Welt bzw. online, weil eine scharfe Trennung suggeriert wird, die in vielen Fällen gar nicht existiert. Weil es in meinem konkreten Fall um soziale Normen geht, die ich in Kontext des Beitrags am ehesten in Abhängigkeit zum Raum verstehe, werde ich zwischen einem digitalen und analogen Raum differenzieren.

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