Diskutieren auf sozialen Netzwerken – Aufgaben und Missverständnisse

Bildschirmfoto 2018-11-03 um 14.31.05„Soziale Netzwerke eignen sich nicht für Diskussionen.“ Diese Meinung ist weit verbreitet und resultiert aus den Erfahrungen, die jeder selbst schon mal bei Debatten in Social Media gesammelt hat. Begründet wird das oft mit dem Fehlen von Mimik, Gestik oder dem Ton des Gegenübers und der Reduzierung der Kommunikation auf die Schrift. Oder einer enthemmenden Anonymität und veränderten Öffentlichkeit. Die Bewertung, soziale Netzwerke würden sich für Diskussionen nicht eignen, lädt aber auch ein, sich dem Diskurs zu entziehen oder sich von der Verantwortung (bezüglich einer Beteiligung oder dem Verlauf einer Debatte) freizusprechen und unterliegt meiner Meinung nach einem Denkfehler: Es wird zwar wahrgenommen, dass die Möglichkeiten der Kommunikation sich wandeln, es wird aber (gedanklich) daran festgehalten, dass die Kommunikation selbst dabei unverändert bleiben soll.

Es wird mehr und anders kommuniziert, weshalb der Kommunikation im kulturellen Wandel eine entscheidende Rolle spielt. Wie eine adäquate Anrede oder Grußformel am Ende eines Briefes auszusehen hat, habe ich vor ca. 30 Jahren in der Schule gelernt. Weder eine solche klare und einheitliche Etikette noch das gemeinsame Erlernen existieren heute für die Kommunikation in Social Media, weil es u.a. in Schulen nicht stattfindet oder jedes soziale Netzwerk eigenen Regeln unterliegt. Beispielsweise duzen sich bei Twitter die meisten Nutzerinnen und Nutzern untereinander, unabhängig von Bekanntheit, Amt oder Titel. (Was mir das Netzwerk besonders sympathisch macht.) Das Sie wird (zumindest in meinem Umfeld) eher bei einem Streit mit Unbekannten ausgepackt. Eine sich immer schneller ändernde Technik, Wirkung und Anwendung erschwert, dass ein allgemeiner Konsens gefunden und etabliert wird. Auch der Einfluss der Plattformbetreiber selbst, ist in diesem Kontext nicht zu unterschätzen. Es sind in den letzten Jahren schließlich ausreichend Fälle öffentlich und kontrovers diskutiert worden, die belegt haben, dass nicht alle die Auffassung von Facebook teilen, was als gesellschaftlich akzeptabel oder nicht bewertet werden soll.

Wenn Diskussionen über soziale Netzwerke nicht funktionieren, kann das auch bedeuten, dass bereits vorher bestehende kommunikative Defizite vorhanden waren und nun nur sichtbar werden oder dass schlicht die Vorstellungen, wie eine erfolgreiche Kommunikation zu verlaufen hat, voneinander abweichen. Vielleicht trägt auch die überholte Auffassung, Medien seien nur ein Transportmittel, zum Missverständnis sozialer Netzwerke bei. Wer über Social Media diskutieren möchte, wird mit der reinen Übertragung bisheriger Verhaltensmuster scheitern. Neues Wissen und weitere Kompetenzen sind gefragt. Es handelt sich hierbei auch um keine (rein) schulische, sondern eine gesellschaftliche Herausforderung. Ein gemeinsamer Prozess mit und über Social Media. Immer wieder die eigene Kommunikation selbst und mit Freunden oder Bekannten zu reflektieren, hilft (allen) dabei. (Mich persönlich interessieren zunehmend psychologische Aspekte wie FramingProjektion oder Reaktanz.) Das wird unbequem und langer dauern, aber ist Teil des der Digitalen Transformation. 

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